1. Sure: Al-Fatiha (Die Eröffnende)

11-03-2020

1. Sure: Al-Fatiha (Die Eröffnende)
Offenbart in Mekka
7 Ayat (Verse)

 

Die erste Sure des Korans trägt den Namen Al-Fatiha. Dieses Wort bedeutet in der arabischen Sprache "Anfang einer Sache", "Einleitung" oder "Vorwort". Die Al-Fatiha eröffnet als erste Sure aber nicht nur den gesamten Koran-Text, sondern der Muslim stellt sie auch in jedem seiner Gebete an den Anfang der Koran-Rezitation. Außer der Bezeichnung "Al-Fatiha" kommen der ersten Sure noch weitere Namen zu, welche ebenfalls auf ihre Bedeutung hinweisen; so wird sie auch "Ummu-l-Kitāb" (Mutter des Buches) bzw. "Ummu-l-Koran" (Mutter des Koran) genannt, weil sie wie eine Mutter, die als Gebärende ihrer Kinder gleichsam den Ausgangspunkt der Familie markiert, den Anfang des Koran-Textes darstellt; und da man mit ihr auch das Gebet beginnt, heißt die erste Sure auch "Suretu-s-Salāh" (Sure des Gebets). Weitere Bezeichnungen sind: "Suretu-l-Kanz" (Sure des Schatzes); "Suretu-l-Hamd" (Sure des Lobes); "Al-Wāfiya" (Die Vollendete); "Al-Wāqiya" (Die Schützende); "Al-Kāfiya" (Die Ausreichende); "Asāsu-l-Koran" (Die Grundlage des Koran) und " Schifa" (Die Heilung). Nach überwiegender Auffassung der Gelehrten wurden die sieben Verse der Al-Fatiha in Mekka, d.h. vor der Hijra offenbart. Dass die Al-Fatiha unter allen Suren eine besondere, herausragende Stellung einnimmt, bezeugen viele Hadise: Einen finden wir beim Hadis Überlieferer Al-Buchari, wonach der Prophet Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, zu Abu Sa‘īd Ibn Al-Mu‘ally sagte: „Bevor du die Moschee verlässt, will ich dich eine Sure lehren, die die bedeutendste Sure des Koran ist.“ Als Abu Sa‘īd beim Verlassen der Moschee den Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, an dessen Worte erinnerte, sagte der Prophet: „Al-Hamdu li-llāhi rabbi-l-‘alamīn[1]; sie besteht aus den sieben zu Wiederholenden, sie ist der großartige Koran, der mir gegeben wurde.“ Mit den "sieben zu Wiederholenden" sind die sieben Verse der Al-Fatiha gemeint, die in jedem Gebet mindestens zweimal wiederholt werden. Und in einer anderen Überlieferung heißt es: „Kein Gebet für den, der nicht in jeder Rak‘a die Fatihatu-l-Kitāb (Die Eröffnende des Buches) rezitiert!“ Aus diesem Hadis leiten die Gelehrten ab, dass das Rezitieren der Al-Fatiha zu den wesentlichen Elementen des Gebets gehört und Voraussetzung für seine Gültigkeit ist. Auch daran lässt sich der enorme Stellenwert dieser Sure erkennen. Neben dieser funktionellen Bedeutung hat die Al-Fatiha aber auch besonders wichtige Züge, welche den Kern des Glaubens berühren: In ihr werden einige Eigenschaften bzw. Namen Allahs genannt, sie lehrt den Tauhid und legt das Verhältnis Allahs zu den Menschen in seinen Grundzügen dar.

 

بِسْمِ اللَّـهِ الرَّحْمَـٰنِ الرَّحِيمِ ﴿١﴾

„Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!“ (Der edle Koran 1:1)

1:1 - Als erster Vers steht in der Al-Fatiha die Besmele, welche lautet: „Bismi-llāhi-r-rāḥmāni-r-Rahim.“ Darüber, ob die Besmele ein eigenständiger Vers am Anfang jeder Sure (außer der neunten) ist oder nicht, sind die islamischen Gelehrten unterschiedlicher Meinung; denn für die Gültigkeit beider Lehrmeinungen können jeweils Hadise als Beweise herangezogen werden. Die meines Erachtens überzeugendere und gewichtigere Beweisführung ist die derjenigen Korangelehrten, die meinen, die Besmele sei kein eigener Vers: Sie führen u.a. den schon erwähnten Hadis über Abu Sa‘īd an, worin der Prophet Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, die Rezitation "der bedeutendsten Sure des Koran "mit der "Al-Hamdala" - dem zweiten Vers also - und nicht mit der Besmele beginnt. In einem anderen Hadis, der von Muslim überliefert wird, bestätigt auch Aischa (r), die Ehefrau des Propheten, dass er die Koran-Rezitationen im Gebet mit der Al-Hamdala begonnen habe. Und in einem weiteren Hadis berichtet der Prophetengefährte Ibn Abbas (r): „Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, wusste keine Einleitung der Suren, bis ihm "Bismi-llāhi-r-Rahmani-r-Rahim" offenbart wurde.“ Aus dieser Überlieferung geht eindeutig hervor, dass die Besmele zu Beginn der Suren nicht als deren integraler Bestandteil, sondern als eine von ihnen formal abgesetzte Einleitung anzusehen ist. Doch Allah (t) weiß es am besten. Dass die Besmele in der ersten Sure dennoch die Versnummer 1 erhält, ergibt sich daraus, dass sie ja der erste Bestandteil der gesamten, durch Verszählung gekennzeichneten Offenbarung ist und somit selbst vom Zählungssystem erfasst wird. Vor den anderen Suren fungiert die Besmele dagegen als reine Einleitung und wird nicht gesondert nummeriert. Wenden wir uns nun der Interpretation zu: Die Besmele hat den Wortlaut: „Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen“. Der Name "Allah" steht nur unserem Schöpfer allein zu; dieser setzt sich zusammen aus dem Artikel "Al" und dem arabischen Wort "Ilah". Al-Ilah bedeutet demnach "der Gott", d.h. der alleinige Gott, neben Dem es keine anderen Götter gibt. Dieser Name "Allah" ist nicht übersetzbar; denn er ist ein Eigenname unseres Schöpfers, der zugleich alle Attribute umfasst, die Ihm zustehen, und zu diesen 99 Attributen oder "Namen" Allahs, die im Koran genannt werden, gehören auch der "Allerbarmer" und der "Barmherzige". Die beiden arabischen Worte "Ar-Rahman" und "Ar-Rahim" werden von dem Wort "Raḥma" (Erbarmen) abgeleitet; das Wort "Ar-Rahman" (der Allerbarmer) darf jedoch nur ausschließlich für Allah (t) angewendet werden; denn es umfasst die Gesamtheit der Arten von Barmherzigkeit im Diesseits und im Jenseits, nämlich die Gnade Allahs, Seinen Schutz, Seine Rechtleitung, Seine Vergebung am Jüngsten Tag usw., und besitzt mit dieser Inhaltsfülle eine weitergehende Bedeutung als "Ar-Rahim" (der Barmherzige). Dieses letztere Wort kann auch auf den Menschen angewendet werden; die in ihm ausgedrückte Barmherzigkeit beschränkt sich lediglich auf das Diesseits. Manche Koran-Kommentatoren meinen auch, dass "Ar-Rahman" sich auf die gesamte Schöpfung beziehe, "Ar-Rahim" hingegen nur auf die Gläubigen; andere sind der Ansicht, dass die Form "Ar-Rahman" nach der Wortbildungslehre die Größe und Vielfalt von Allahs Barmherzigkeit ausdrücke, während die Form "Ar-Rahim" das Andauern bzw. die Unaufhörlichkeit Seiner Barmherzigkeit bezeichne. Wie umfassend und mannigfach die Barmherzigkeit Allahs ist, tritt uns auch klar vor Augen in Sure 55, die den Titel "Ar-Rahman" trägt. Wie bereits gesagt, hat der Prophet Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, mit der Besmele die Koran-Rezitation eingeleitet; ebenso begann er das Gebet mit diesen Worten. Darüber hinaus ist es im Islam jedoch ein Gebot, jede Handlung mit der Besmele anzufangen; denn, wie der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte, ist „jede Handlung, die nicht mit "Bismi-llāhi-r-Rahmani-r-Rahim" begonnen wird, (vom Segen) verstümmelt.“

 

الْحَمْدُ لِلَّـهِ رَبِّ الْعَالَمِينَ ﴿٢﴾

„Alles Lob gebührt Allah, dem Herrn der Welten“ (Der edle Koran 1:2)

1:2 - "Alles Lob gebührt Allah" bedeutet, dass man Allah (t) in jeder Lebenslage und unter allen Umständen dankt und Ihn lobpreist - auch und gerade dann, wenn etwas geschieht, was wir als scheinbar nachteilig oder schlecht für uns ansehen. Denn oft lässt Allah (t) etwas geschehen, was auf uns im ersten Augenblick wie ein Unglück wirkt, etwas, wodurch wir uns in eine Notlage versetzt fühlen, oder etwas, was wir eigentlich gar nicht wollen, was sich jedoch später als Wohltat für uns erweist. Auch lässt Allah (t) zuweilen Gläubige deshalb in ungünstige Situationen geraten, um ihre Standfestigkeit, aufrichtige Gottesfurcht und Stabilität im Glauben zu prüfen. Die Al-Hamdala bedeutet also nicht nur "Danken" und "Loben" im engeren Sinne des Wortes, sondern begreift "Lob" als ein demütiges und verehrendes Lobpreisen Allahs in allen guten sowie weniger guten Lebenslagen, dargebracht mit Aufrichtigkeit des Herzens und erfüllt von Liebe zu Ihm, Dem Allerbarmer, Dem Barmherzigen. Im Hinblick auf den sprachlichen Aspekt ergibt sich daraus, dass man im Arabischen das Wort "Hamd" nur allein in Bezug auf Allah (t) verwendet, während man immer dann, wenn man vom Lob eines Menschen spricht, das Wort "Madḥ" gebraucht. So, wie man zu Beginn einer Handlung die Besmele spricht, sollte man jede Tat mit der Al-Hamdala beenden. Darum ist es z.B. Brauch, am Ende jeder Mahlzeit "Al-Hamdu li-llāh" zu sagen; ein anderer Brauch ist, dass jemand, der geniest hat, die Al-Hamdala spricht. Der zweite Vers der Al-Fatiha wird nach der Al-Hamdala mit den Worten "dem Herrn der Welten" fortgesetzt. Das Attribut "Rabb" (Herr) ist ebenfalls einer der neunundneunzig Namen Allahs - es bedeutet "Herr", "Besitzer", "Gebieter", "Eigentümer", "Leiter", "Angebeteter", und es darf, wenn es allein steht, ebenfalls nur im Zusammenhang mit Allah (t) verwendet werden. Unter den "Welten" ist die Gesamtheit der Schöpfung zu verstehen. Dies erfahren wir aus dem Koran selbst, und zwar aus Sure 26:23f.: „Pharao sagte: Und was ist der Herr der Welten? Er (Moses) sagte: Der Herr der Himmel und der Erde und dessen, was zwischen den beiden ist.“ Der Vers „Alles Lob gebührt Allah, dem Herrn der Welten“ ist von weitreichender Bedeutung; denn aus ihm schöpft die Lehre des Tauhid. Hier wird die islamische Vorstellung von unserem Schöpfer dargelegt, und hier wird ganz deutlich klargestellt, dass Er der Eine ist, Dem alles Erschaffene gehört, Der alles lenkt und Dem allein Lob und Preis gebühren. Allah (t) ist es, Der die Menschen erschafft, das Tierreich und die Pflanzenwelt; Allah (t) ist es, Der sie ernährt, erhält und beschützt; Allah (t) ist es, Der den Lauf der Gestirne regelt und überwacht. Er ist somit auch der Beherrscher Seiner Schöpfung. Die absolute Einheit und unumschränkte Macht Allahs sind die Grundlagen des islamischen Glaubens: "la ilaha illa-llah" (kein Gott ist da außer Allah), wie es auch im Glaubensbekenntnis der Muslime heißt.

 

الرَّحْمَـٰنِ الرَّحِيمِ ﴿٣﴾

„dem Allerbarmer, dem Barmherzigen“ (Der edle Koran 1:3)

1:3 - Erläutert wurden diese beiden Attribute Allahs bereits in der Erklärung der Besmele. Die Koran-Kommentatoren weisen darauf hin, dass dieser Vers bewusst an dieser Stelle steht: Während der vorhergehende Vers den Menschen die unendliche Distanz zu dem Allmächtigen Schöpfer erahnen lässt und ihm Ehrfurcht vor Seiner Macht und Größe einflößt, hat dieser Vers ermutigenden, dem Menschen Entgegenkommen signalisierenden Charakter. Denn Allah (t) macht bei Seiner Schöpfung und deren Leitung nicht nur von Seiner Allmacht Gebrauch, sondern Er steht uns auch mit Seiner unermesslichen Güte und Gnade zur Seite, indem Er uns Seine Schöpfung zu unserer Verfügung und Nutzung überlässt und indem Er uns den rechten Weg des Islam zeigt. So spendet uns die Sonne Licht und Wärme, so finden wir in der Erde Bodenschätze, so lässt der Regen Getreide, Beeren und Früchte gedeihen usw. Zu Allahs größter Gnade aber gehört es, dass Er uns Propheten und Offenbarungen sandte, damit wir nicht in die Irre gehen - gepriesen sei Allah! Diese Gewissheit, dass Allah (t) Allbarmherzig ist, gibt dem Menschen Lebensmut und Vertrauen zu seinem Schöpfer. Was für eine großartige Perspektive eröffnet der Islam dadurch der Menschheit!

 

مَالِكِ يَوْمِ الدِّينِ ﴿٤﴾

„dem Herrscher am Tage des Gerichts!“ (Der edle Koran 1:4)

1:4 - Im vierten Vers lernen wir eine weitere Eigenschaft Allahs kennen: Er ist der König und Richter am Tage des Jüngsten Gerichts. "Maliki yaumi-d-dīn" heißt wörtlich: "dem Herrscher des Tages der Religion"; gemeint ist damit der Jüngste Tag; denn an ihm offenbart sich ein wesentliches Kriterium der islamischen Lehre, an das der Muslim glaubt: Am Jüngsten Tag wird klar, dass die Religion vor Allah (t) Islam heißt; dann wird darüber gerichtet werden, was der Mensch für oder gegen die Religion Allahs getan hat. An jenem Tag, dessen Datum nur Allah (t) kennt, endet jede Macht des Menschen, die er auf Erden hatte, und an jenem Tag gilt nur das Wort Allahs. In 82:19 heißt es hinsichtlich des Jüngsten Tages: An jenem Tag wird keine Seele etwas für eine andere Seele zu tun vermögen; und der Befehl an jenem Tage steht (einzig) Allah zu.“ Obwohl wir bereits aus dem zweiten Vers der Al-Fatiha erfahren haben, dass Allah (t) der Herr des Diesseits und des Jenseits und somit auch des Jüngsten Gerichts ist, wird in diesem Vers Seine Herrschaft am Tage des Jüngsten Gerichts noch einmal gesondert angesprochen, um die Menschen auf das unausweichliche Ereignis des Gerichts hinzuweisen und um ihnen zu vergegenwärtigen, dass es für all unsere Taten eine Vergeltung gibt und ein Urteil, gegen das wir keinerlei Einspruchsrecht haben.

 

إِيَّاكَ نَعْبُدُ وَإِيَّاكَ نَسْتَعِينُ ﴿٥﴾

„Dir allein dienen wir, und Dich allein bitten wir um Hilfe.“ (Der edle Koran 1:5)

1:5 - Im fünften Vers heißt es: „Dir (allein) dienen wir, und Dich (allein) bitten wir um Hilfe.“ Für das Wort "Ibada" (Gehorsam), von dem die Form "na‘budu" (wir dienen) abgeleitet ist, hat der Koran-Kommentator Ibn Kathir folgende zutreffende Definition gefunden: „Ibada ist alles das, was sich in vollständiger Liebe, Demut und Furcht vereint.“ Ibada beschränkt sich also nicht auf Gehorsam, Demut und Unterwerfung schlechthin - vielmehr umfasst sie auch Dank, uneingeschränktes Gottvertrauen und aufrichtige Ergebenheit; der Begriff beinhaltet darüber hinaus Gehorsam gegenüber Allah (t) in allem, was Er uns vorgeschrieben hat, und zwar, wie sich aus dem bisher Gesagten bereits ergibt, Gehorsam, der in der Liebe zu Ihm begründet liegt. Der dieser Haltung entspringende Dienst für Allah (t) geschieht durch Worte und Taten, die Ihm wohlgefällig sind. Und genau das ist ein wesentlicher Grundgedanke des Islam; denn Islam bedeutet nichts anderes als "Unterwerfung unter den Willen Allahs und Hingabe an Ihn". Dem entspricht, dass Allah (t) in Sure 51:56 sagt: „Und Ich habe die Jinn und die Menschen nur darum erschaffen, damit sie Mir dienen (sollen).“ Und in Sure 12:40 heißt es: „Er (Allah) hat geboten, Ihn allein zu verehren.“ In dieser Aussage liegt auch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens, über die sich nicht-muslimische Philosophen jahrhundertelang vergeblich den Kopf zerbrochen haben. Kehren wir nun zum Aufbau der Sure zurück: Nachdem wir von Allahs Allmacht und Allbarmherzigkeit und von dem auf uns alle zukommenden Gericht Allahs gehört haben, ist es nur konsequent, dass wir uns nun in Liebe, Demut und Ehrfurcht vor Allah (t) verneigen, Ihn anbeten und Seinen Gesetzen folgen. In diesem Sinne sind wir "Diener" Allahs. Seine Allmacht und Seine Barmherzigkeit, aber auch unsere Verehrung für Ihn ermutigen uns, Ihn um Seinen Beistand und Seine Hilfe zu bitten. Und weil erst aufrichtige Anbetung das Herz für gottergebenes Bitten öffnet, wird im fünften Vers der Gehorsam bzw. das ihm entsprechende Dienen vor dem Bitten um Hilfe genannt. Besondere Beachtung sollte in diesem Vers der Wortstellung geschenkt werden. Es heißt nicht: "Wir dienen Dir", sondern das "Dir" steht am Anfang des Satzes und wird dadurch besonders hervorgehoben; dadurch erhält dieser Vers die Bedeutung, dass wir Allah (t) allein dienen und sonst niemandem, dass wir nur Allah (t), jedoch keine andere Gottheit neben Ihm, um Hilfe bitten. Hier kommen also wieder die Einheit und Einzigkeit Allahs und die Bedeutung von "lā ilāha illa-llāh" zum Ausdruck. Weiterhin heißt es in diesem Vers "dienen wir" und "bitten wir". Die Mehrzahl des Personalpronomens weist auf die islamische Gemeinschaft hin und stärkt das Bewusstsein der islamischen Brüderlichkeit, zumal die Al-Fatiha ja Bestandteil des täglichen islamischen Gebets ist. Festigt das Gemeinschaftsgebet ohnehin schon das Gefühl der Brüderlichkeit, so lässt dieses "wir" die Zusammengehörigkeit besonders deutlich werden, und es gibt dem, der als Einzelner für sich betet, das tröstliche Gefühl, dass er nicht allein, sondern Teil der islamischen Gemeinschaft ist. Mit dem fünften Vers beginnt von Struktur und inhaltlicher Aussage her der zweite Teil dieser Sure. Dazu sei zunächst auf eine sprachliche Auffälligkeit dieses Verses hingewiesen: Durch die Personalpronomina "Dir", "Dich" und später "Du" wird Allah (t) erstmals direkt persönlich angesprochen. Nachdem bislang von Allah (t) nur in der dritten Person Singular die Rede war, wird ab Vers 5 ausschließlich die zweite Person Singular für Ihn gebraucht. Diese formale Veränderung unterstreicht die inhaltliche Wendung ausgehend vom Lobpreis Allahs hin zur Bitte um Seine Hilfe. Zurzeit des Propheten Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, hat dieses Stilmittel des Pronomenwechsels auf die Araber, die damals in ihrer Sprache sehr bewandert waren, seine Wirkung nicht verfehlt und vor allem die Aufmerksamkeit derer auf sich gezogen, die diese Sure zum ersten Male hörten.

 

اهْدِنَا الصِّرَاطَ الْمُسْتَقِيمَ ﴿٦﴾

„Führe uns den geraden Weg“ (Der edle Koran 1:6)

1:6 - Nachdem wir im vorhergehenden Vers allgemein um Hilfe gebeten haben, spezifizieren wir nun unseren Wunsch und bitten Allah (t), uns den geraden, den rechten Weg zu zeigen und uns zum aufrichtigen Glauben zu führen, zur Standfestigkeit, zum vollkommenen Lebenswandel und damit zum verheißenen Paradies. "Führung" in diesem Vers bedeutet also "Hinführen" und "Bewahren vor dem Abweichen". Der "gerade Weg" ist nach allgemeiner Auffassung die Religion der Wahrheit, der Islam. Manche Kommentatoren sagen, mit dem "geraden Weg" sei der Koran bzw. der Prophet Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, gemeint. Auch diese Aussagen sind richtig; denn wer dem Koran und dem Propheten Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, folgt, der praktiziert ja den Islam und befindet sich auf dem Weg der Wahrheit. Auch jemand, der sich bereits auf diesem Weg befindet, bittet Allah (t) jeden Tag und in jedem Gebet aufs Neue um Seine Leitung, um stärkere Festigung seines Glaubens und um die Fähigkeit, den Glauben noch besser in sein Verhalten und Handeln umsetzen zu können. Mit dieser Bitte geht die Einsicht einher, dass der Mensch aus eigener Kraft und ohne die Hilfe Allahs nicht auf dem rechten Weg zu bleiben vermag.

 

صِرَاطَ الَّذِينَ أَنْعَمْتَ عَلَيْهِمْ غَيْرِ الْمَغْضُوبِ عَلَيْهِمْ وَلَا الضَّالِّينَ ﴿٧﴾

„den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, nicht den Weg derer, die Deinen Zorn erregt haben, und nicht den Weg der Irregehenden.“ (Der edle Koran 1:7)

1:7 - Im siebten und letzten Vers der Al-Fatiha folgt eine Erläuterung, wie dieser gerade Weg aussieht und wer sich auf diesem Weg befindet. Unter dem "geraden Weg", den wir von Allah (t) erbitten, verstehen wir "den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, nicht (den Weg) derer, die (Deinen) Zorn erregt haben, und nicht (den Weg) der Irregehenden". Diejenigen, denen Allah (t) Gnade erwiesen hat, sind im Vers 69 der vierten Sure beschrieben: „Und wer Allah und dem Gesandten gehorcht, soll unter denen sein, denen Allah Seine Huld gewährt, unter den Propheten, den Wahrhaftigen, den Zeugen und den Rechtschaffenen - welch gute Gefährten!“ Das arabische Wort "Ġasab" (Zorn), mit dem das Partizip "Maġḍūbi" (denen gezürnt wird), zusammenhängt, bedeutet hinsichtlich der Eigenschaften Allahs "Wille zum Bestrafen". D.h., wem Allah (t) zürnt, dem wird Er eine Strafe auferlegen. Wie wichtig ist es also für jeden Muslim, Allah (t) zu bitten, ihn vor dem Weg derer zu bewahren, denen Er zürnt! Als "Irregehen" ist das Abweichen vom Weg der Wahrheit zu begreifen. Es gibt jedoch noch weitergehende Interpretationen: Einige Kommentatoren meinen, dass diejenigen, "die (Allahs) Zorn erregt haben", die Menschen sind, die Allahs Gesetze absichtlich überschreiten, während die "Irregehenden" jene Menschen sind, die aus Nachlässigkeit oder Unwissenheit gegen Allahs Gesetze verstoßen. Viele Hadise weisen darauf hin, dass diejenigen, die den Zorn Allahs auf sich ziehen, die Juden sind, und dass es sich bei denjenigen, die in die Irre gehen, um die Christen handelt. Ibn Kathir gibt noch eine tiefer reichende Erklärung, indem er sagt, dass die Gläubigen das Wissen um die Wahrheit und das ihm adäquate Handeln in sich vereinen - das sind die Muslime, während die Juden das Handeln und die Christen das Wissen "verloren" haben. Der Muslim strebt also danach, vor beiden möglichen Abweichungen geschützt zu sein; und bittet deshalb Allah (t) um Seine Gnade und darum, ihn vor Seinem Zorn bzw. vor dem Abirren vom wahren Glauben zu bewahren. Gemäß der Überlieferung ist es wünschenswert, nach der Rezitation der Al-Fatiha "Amin" (Amen) zu sagen. "Amin" bedeutet so viel wie "O Allah, erhöre!".
 

 

Alles Lob gebührt Allah, Dem Herrn der Welten.

 


[1] vgl. den 2. Vers der Sure Al-Fatiha


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