19-03-2020
103. Sure: Al-Asr (Der Nachmittag)
Offenbart in Mekka
3 Ayat (Verse)
Über die Jahre hat sich gezeigt, dass der Mensch stets verliert, außer denen die glauben, Gutes tun, zusammenkommen, um die Wahrheit zu lehren, und geduldig bleiben.
بِسْمِ اللَّـهِ الرَّحْمَـٰنِ الرَّحِيمِ
Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
وَالْعَصْرِ ﴿١﴾ إِنَّ الْإِنسَانَ لَفِي خُسْرٍ ﴿٢﴾ إِلَّا الَّذِينَ آمَنُوا وَعَمِلُوا الصَّالِحَاتِ وَتَوَاصَوْا بِالْحَقِّ وَتَوَاصَوْا بِالصَّبْرِ ﴿٣﴾
„Beim Nachmittag! (1) Die Menschen sind wahrlich im Verlust (2); außer denjenigen, die glauben und gute Werke tun und sich gegenseitig die Wahrheit ans Herz legen und sich gegenseitig zur Geduld anhalten.“ (Der edle Koran 103:1-3)
103:1-3 - Diese kurze Sure ist die Zusammenfassung des Grundgesetzes des Islam und der Anweisungen für das Handeln im täglichen Leben eines Muslims - nämlich Glaube als Grundlage für alles Handeln, daraus resultierende gute Taten und das gegenseitige Sich-Ermahnen zur Wahrheit und zur Geduld. Das arabische Wort "Asr" im ersten Vers dieser Sure bedeutet "Nachmittag", aber auch "Zeit" oder "Zeitalter"; der erste Vers kann also auch übersetzt werden mit "Bei der Zeit!" Nach Meinung einiger Koran-Kommentatoren ist mit "der Zeit" oder dem "Zeitalter" das Zeitalter des Propheten Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, gemeint, das ja durch sein Erscheinen und durch die neuen Impulse der Religion ein gutes Zeitalter war; nach Meinung anderer Gelehrten soll dieses Wort besagen: "Beim Herrn der Zeit!", also "Bei Allah!" Eine weitere Gruppe von Koran-Kommentatoren vertritt die Ansicht, dass mit "Al-Asr" das Nachmittagsgebet gemeint sei; es wird im Arabischen anstatt "Salatu-l-Asr" auch kurz "Al-Asr" genannt. Das Nachmittagsgebet, das sogenannte "mittlere Gebet", genießt einen besonderen Vorzug für diejenigen, die es pünktlich zu seiner festgesetzten Zeit verrichten, weil man im Allgemeinen gerade zu dieser Tageszeit geneigt ist, das Gebet zu vernachlässigen; denken wir in diesem Zusammenhang an Vers 238 der Sure 2, in dem uns Allah (t) ausdrücklich auf dieses Gebet hinweist. Der grammatische Einzahlbegriff "der Mensch" steht in Vers 2 dieser Sure als Abstraktion und stellvertretend für die ganze Menschheit; "Verlust" bedeutet in diesem Zusammenhang "Schaden", nach anderen Kommentatoren "Untergang", "Bestrafung", "Übel" oder "Übervorteilung" - wie man sieht, liegen die verschiedenen Begriffe in ihrer Bedeutung alle nahe beieinander. Im zweiten und dritten Vers dieser Sure werden die Taten der Menschen gleichsam mit Handelswaren verglichen: Die Besitzer der schlechten Waren mit ihrem ichbezogenen, auf materiellen Gewinn ausgerichteten Tun verlieren und haben den Schaden, während die Besitzer der guten Taten Gewinn erzielen. Die Besitzer der schlechten Waren sind die Ungläubigen mit ihren Taten, die sich auf den "Handel" einlassen in der Hoffnung, ihre schlechten Waren günstig einzutauschen für das Wohlergehen im Jenseits, doch sie sehen sich getäuscht: Allah (t) tauscht ihnen ihre schlechten Taten und ihren Unglauben nicht für das Paradies ein, sondern für die Strafe des Höllenfeuers. Ausgenommen von diesem verlustreichen Handel der Menschheit sind diejenigen, "die glauben ..." - die an die Existenz und die Einheit Allahs glauben, die an die Entsendung von Allahs Boten glauben und daran, dass Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, der letzte und für alle Völker entsandte Prophet ist, die daran glauben, dass die vom Gesandten Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, übermittelten Gebote und Verbote und sein Vorbild für alle Muslime und in jedem Zeitalter verbindlich sind und dass die durch ihn übermittelte Botschaft die Wahrheit ist. Im Anschluss an den Glauben werden im dritten Vers dieser Sure noch andere Eigenschaften genannt, die diejenigen besitzen, die vom verlustreichen Handel ausgenommen sind: Diese weiteren Eigenschaften stehen mit dem Glauben in unmittelbarem Zusammenhang; denn ohne ihn haben sie keinen Wert. Betrachten wir dazu zunächst den folgenden Hadis, der bei Muslim überliefert wird: „Aischa (r), die Frau des Propheten Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, fragte: O Gesandter Allahs! Ibn Jud‘an pflegte in der Jahiliyya die Bande der Verwandtschaft und gab Armen zu essen, kaufte Kriegsgefangene los, ließ Sklaven frei und beförderte Personen und Lasten auf seinen Kamelen um Allahs Wohlwollen ohne Entgelt. Nützt ihm das etwas? Der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, erwiderte: Nein; denn er hat niemals gesagt: Mein Herr, vergib mir meine Sünden am Tage des Gerichts!“ Die guten Werke müssen also getan werden, während man an Allah (t) glaubt, sonst werden sie von Allah (t) nicht angenommen, oder anders ausgedrückt: diejenigen, die nicht an Allah (t) glauben, führen nicht nur mit ihren schlechten Taten einen verlustreichen Handel, sondern auch mit ihren "guten Werken", da diese ohne den Glauben an Allah (t) keinen Wert haben.[1] Dies gilt allerdings mit einer Einschränkung: Der Lohn der Juden, Christen und Sabäer kann nur dann im Paradiesleben bestehen, wenn sie noch niemals etwas vom Propheten Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, gehört haben. Dazu sagte - einer Überlieferung bei Qurtubi zufolge - der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm: „Es gibt keinen in dieser Gemeinde, sei er Jude oder Christ, der von mir hört und dann nicht an die Botschaft glaubt, mit der ich gesandt wurde, ohne dass er zu den Insassen der Hölle gehören wird.“ Und in einer ähnlichen Überlieferung bei Tabari heißt es: „... darauf sagte der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm: Wer in der wahren Religion Jesu stirbt, ohne von mir gehört zu haben, dem wird es wohlergehen, doch wer heute von mir hört und nicht an mich glaubt, der ist verloren.“ Hierzu ist ausdrücklich zu bemerken, dass auch das ursprüngliche, unverfälschte Judentum und Christentum laut Koran nichts anderes als "Islam" war, d.h. "völlige Ergebung in den Willen Allahs", ebenso wie die Lehre aller wahren Propheten Allahs, Allahs Friede auf ihnen. Der Islam wurde also nicht von Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, begründet, sondern auf die letzte und höchste Stufe seiner Entwicklung gehoben. In der einen oder anderen Form existierte er nämlich schon seit der Zeit Adams, Allahs Friede auf ihm, und wurde von niemand anderem begründet als von Allah Selbst. Was sind nun "gute Werke"? Das sind Taten, die den Geschöpfen Allahs nützen und den Bedürftigen in ihrer Not helfen. Denn wer Allahs Geschöpfen dient, indem er ihnen Gutes erweist und ihnen in Not und Elend hilfreich zur Seite steht, der dient damit auch ihrem Schöpfer und Herrn. Der Begriff "gute Werke" ist also sehr weit gefasst zu verstehen; er beinhaltet alles, was einem anderen Geschöpf - von den eigenen Eltern bis hin zu den Tieren der Wildnis - Wohltat und Hilfe ist, vom Unterlassen übler Rede und Beleidigung bis hin zur Rettung aus Lebensgefahr, und für diese guten Taten verspricht Allah (t) im Jenseits das Paradies. Mit der "Wahrheit" im Vers 3 soll nach Ibn Abbas (r) die Lehre von der Einheit Allahs, der Tauhid, gemeint sein, nach Meinung anderer der Koran. Wie dem auch sei - nach allgemeiner Definition ist die Wahrheit eine feststehende Tatsache, die niemand leugnen kann, und sie bezeichnet in diesem Zusammenhang alles Gute: angefangen von der Lehre des Tauhid und dem Gehorsam Allah (t) gegenüber, indem man Seine Gebote und die Lehre Seiner Gesandten, Allahs Friede auf ihnen, befolgt, bis hin zur Bescheidenheit im Diesseits und dem Verlangen nach dem Jenseits.[2] "Geduld" bedeutet Ausharren in Gehorsam gegenüber Allah (t) und Ablassen vom Ungehorsam Ihm gegenüber, aber auch Ertragen von Prüfung und Unglück. Das Wort "gegenseitig" zeigt, dass der Muslim sich mit der Wahrheitsliebe und der Geduld nicht auf sich allein beschränken darf, sondern auch andere Menschen dazu anhalten soll; denn der Islam ist keine Religion für Einsiedler, sondern in erster Linie eine Religion für Menschen, die in Gemeinschaft miteinander leben. Und wenn einer in dieser Gemeinschaft sieht, dass ein anderer seine Pflichten vernachlässigt, so soll er ihn an deren Erfüllung erinnern. In diesem Sinne kann der Text auch bedeuten: "sich gegenseitig mit der Wahrheit ermahnen", d.h. also, sich gegenseitig mit der Wahrheit und der Weisheit aus dem Koran Rat erteilen und Anweisungen für ein rechtschaffenes, gottesfürchtiges Leben geben. Das arabische Wort "tawasau", "sich gegenseitig ans Herz legen, sich gegenseitig anhalten bzw. ermahnen, sich gegenseitig anraten", steht in diesem Vers zweimal: das erste Mal in Verbindung mit "Wahrheit" und das zweite Mal in Verbindung mit "Geduld". Diese Wiederholung desselben Wortes - hier in der Übersetzung jeweils etwas unterschiedlich wiedergegeben - weist auf die Bedeutung der "Gegenseitigkeit" hin. Mit "sich gegenseitig zur Geduld anhalten" ist also gemeint, dass man seinem Mitmenschen in schwierigen Situationen, Notlagen und im Elend Mut macht, Trost spendet und ihn zum Ausharren und geduldigen Ertragen seiner Lage anspornt. Denn der Muslim darf niemals aufgeben, auch wenn seine Lage noch so aussichtslos erscheint - weiß er doch nicht, ob Allah (t) ihn vielleicht damit prüfen will oder ob sich seine Situation nicht doch noch zum Besseren wenden wird.
Alles Lob gebührt Allah, Dem Herrn der Welten.
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