19-03-2020
Zum Geleit der beiden Schutz-Suren 113 und 114
Die beiden letzten Suren des Korans, die Sure 113, Falaq (Das Frühlicht), und die Sure 114, Nas (Die Menschen), werden "Die beiden Schutzverleihenden" genannt. Allah (t) lehrt durch sie in kurzer, gedrängter, aber umfassender Form, dass wahre Zuflucht und alleiniger Schutz nur bei Ihm, unserem Allmächtigen Schöpfer, gefunden werden können. Es ist das Bewusstsein dieser Tatsache, das den Muslim in Situationen, in denen er sich bedroht, bedrückt oder bedrängt fühlt, Schutz suchen lässt bei Allah (t) vor Bösem und Unheil, das ihn von Angstzuständen und Depressionen befreit und das ihm ein Gefühl der Geborgenheit und des Geschütztseins vermittelt. Um dieses Bewusstsein zu stärken und darin inneren Frieden zu finden und um diesen Schutz zu erbitten, wird er deshalb in derartigen Situationen ein Stück aus dem Koran, also von Allahs eigenen Worten, rezitieren. Dazu ist jede Sure geeignet, besonders aber sind es die genannten Suren; denn sie beginnen beide mit den Worten: „Sprich: Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn des Frühlichts / der Menschen.“ Kurz und prägnant werden diese beiden Suren deshalb meistens als "Die Schutz-Suren" bezeichnet, allerdings nicht im Koran selbst, sondern in den Hadis Büchern. Damit durch diesen Begriff nun nicht falsche Eindrücke oder Vorurteile erweckt werden, sei folgendes klargestellt: Wie aus dem Gesagten bereits deutlich geworden sein dürfte, handelt es sich bei diesen beiden Suren keineswegs um "Beschwörungsformeln" oder "Zauberworte", so wie dies manchmal fälschlicherweise behauptet wird, um den beiden Suren eine magische Komponente zu verleihen und sie dadurch abzuwerten. Beachten wir in diesem Zusammenhang, dass auch die erste Sure des Koran, Al-Fatiha, u.a. "Al-Waqiya" (Die Schützende) genannt wird - auch in ihr wird dargelegt, dass nur Allah (t) es ist, bei Dem man Hilfe suchen darf und Hilfe finden kann. Auch die bisweilen geäußerte Behauptung, dass die beiden Suren ursprünglich nicht zum Koran gehörten, sondern "erst später als abwehrende Schlussworte der ganzen Sammlung angehängt" worden seien, trifft nicht zu; denn der Prophet Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, hat diese Suren im Gebet rezitiert und selbst gesagt, dass sie Teil der Offenbarung Allahs seien; sie waren also bereits zu seinen Lebzeiten bekannt. Ausdrücklich hat der Gesandte Allahs jede Form des Aberglaubens strikt abgelehnt und als Irrglauben bezeichnet - jeder, der sich um vorurteilsfreie Betrachtung bemüht, sollte sich also davor hüten, den Islam mit Aberglauben oder Magie zu verbinden. Der Koran lehrt den Muslim zwar das Vorhandensein von nicht fassbaren, außersinnlichen Kräften, die laufend Einfluss auf die irdische Welt nehmen und hier auch ohne Zweifel Böses und Schlechtes bewirken können, doch besteht der Schutz vor diesen nicht darin, lächerliche Zauberformeln aufzusagen, sondern Allah und nur Ihn allein durch Gebete um Hilfe zu bitten; denn etwas anderes zu tun wäre "Kufr" (Unglaube) und würde unweigerlich mit dem Höllenfeuer bestraft werden. Welch erschreckende, ja fast schon islamfeindliche Formen und Auswüchse in diesem Zusammenhang zutage treten, ist schon erstaunlich und traurig zugleich. Das folgende konkrete Beispiel soll dies verdeutlichen: Wohlgemerkt, es handelt sich hier nicht um irgend einen Fall, der in der Vergangenheit spielt, sondern um eine Verhaltensweise unter einigen Muslimen in manchen arabischen Ländern unserer Zeit: Um eine Krankheit zu heilen oder um sich vor Unheil oder Bösem zu schützen, werden die beiden Schutz-Suren auf Papier geschrieben und anschließend in ein Glas Wasser getaucht, bis sich die Tinte völlig im Wasser aufgelöst hat. Dann wird das nunmehr erweichte Papier aus dem Glas genommen und kurz über diesem ausgewringt. Anschließend wird das Glas ausgetrunken. Ein Kommentar über diese falsche Unsitte erübrigt sich hier wohl.[1]
113. Sure: Al-Falaq (Das Frühlicht)
Offenbart in Mekka
5 Ayat (Verse)
Diese Sure gibt uns den Ausweg gegen jeden Aberglauben und Ängste, indem sie uns lehrt, zu Allah (t) Zuflucht zu nehmen - aber auch bei Ihm zu finden, und zwar vor jeder Art des Bösen, das aus der äußeren Natur und der Finsternis und dem bösen Verschwörertum anderer erwächst.
بِسْمِ اللَّـهِ الرَّحْمَـٰنِ الرَّحِيمِ
Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
قُلْ أَعُوذُ بِرَبِّ الْفَلَقِ ﴿١﴾ مِن شَرِّ مَا خَلَقَ ﴿٢﴾ وَمِن شَرِّ غَاسِقٍ إِذَا وَقَبَ ﴿٣﴾ وَمِن شَرِّ النَّفَّاثَاتِ فِي الْعُقَدِ ﴿٤﴾ وَمِن شَرِّ حَاسِدٍ إِذَا حَسَدَ ﴿٥﴾
„Sprich: „Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn des Frühlichts (1) vor dem Übel dessen, was Er erschaffen hat (2), und vor dem Übel der Dunkelheit, wenn sie hereinbricht (3), und vor dem Übel der Knotenanbläserinnen (4) und vor dem Übel eines (jeden) Neiders, wenn er neidet.“ (Der edle Koran 113:1-5)
113:1-5 – „Sind dir nicht die Verse bekannt, die diese Nacht offenbart wurden? Dergleichen hat man noch nicht gehört: Sprich: Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn des Frühlichts.“ und „Sprich: Ich nehme meine Zuflucht beim Herrn der Menschen.“ Dieser Hadis, der bei Muslim überliefert wird, macht den Stellenwert der beiden letzten Suren des Koran-Textes deutlich und lässt erahnen, welch ungeheuer tröstliche und befreiende Wirkung diese Suren auf die Gläubigen gehabt haben mögen, als diese Verse in Mekka offenbart und der noch kleinen islamischen Gemeinde von ihrem Propheten Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, verkündet wurden. Mit dem ersten Vers dieser Sure, mit dem Allah (t) Seinen Propheten Muhammed, Allahs Segen und Friede auf ihm, und die Gläubigen auffordert, bestimmte Worte zu sprechen, die Angst, Aberglauben und alles Übel vertreiben. Dies bezieht sich insbesondere auf jene Kräfte in der Schöpfung, auf die wir als Menschen aus eigener Kraft keinen Einfluss haben, wie z.B. die Jinn, den "Bösen Blick" usw. Allah (t) lässt in Seiner Güte die Gläubigen jedoch nicht allein in Angst und Hilflosigkeit, sondern eröffnet ihnen eine Möglichkeit, ihre Ängste abzulegen, Zuflucht in der Rechtleitung Allahs, im Bewusstsein und im Schutz Seiner Allmacht zu suchen und somit in Sicherheit und Sorglosigkeit zu leben. Als "Herr des Frühlichts" ist Er der Herr über den Wechsel von Tag und Nacht, einen Zeitenwechsel, der von der Drehung der Erde innerhalb des Sonnensystems abhängig ist. "Herr des Frühlichts" bedeutet also auch "Herr eines wohldurchdachten und vollkommenen Systems", und in Koran-Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass "Falaq" (Spaltung), nicht nur "Frühlicht", sondern demnach auch "Gesamtheit der Schöpfung" bedeutet. Falaq kann außerdem "Spaltung der Dinge in zwei Komponenten" oder "Spaltung des Samenkorns durch Entsprießen der Pflanze" bedeuten. Vier Arten von Übel werden hier erwähnt - in diesem Vers das allgemeine Übel in bestimmten Teilen der Schöpfung und in den folgenden drei Versen drei weitere Arten, nämlich das Übel der Dunkelheit, das Übel der "Knotenanbläserinnen" und das Übel desjenigen, der neidet. Allgemein können wir zunächst einmal zwei Arten des Übels unterscheiden: das Übel, das von jemandem selbst ausgeht - nämlich die Sünden, die er begeht, und das Übel, das einem zustoßen kann - sei es durch andere Menschen, durch Jinn, durch Tiere oder durch Naturereignisse. Beide Arten des Übels sind Gegenstand der "Zufluchtnahme" (Isti‘āḏa). Nach überwiegender Meinung der Koran Kommentatoren ist unter "Dunkelheit" die Nacht zu verstehen - demnach spricht dieser Vers also das Übel an, das beim Hereinbrechen der Nacht auftaucht. Während der Tag Licht, Wärme und Sicherheit verbreitet, ist die Nacht die Zeit des Dunkels, der Kälte, der Unsicherheit und der Angst. Die Nacht ist z.B. die Zeit der Diebe und Verbrecher, die die Dunkelheit für ihre üblen, "dunklen" Zwecke nutzen, und die Nacht ist, was für Menschen in vielen Gebieten der Welt auch heute noch von größter Bedeutung ist, die Zeit der Raubtiere - die Nacht ist also die Zeit vermehrter physischer Gefahren, anders ausgedrückt, Gefahren "körperlicher Übel", aufgrund derer sich der Mensch unsicher fühlt und ängstigt. Aber die Nacht ist auch die Zeit vermehrter irrationaler Ängste, also "seelischer Übel". Bei diesen Knotenanbläserinnen handelt es sich um eine Art Priesterinnen von Lat, die von den heidnischen Arabern als Göttin verehrt wurde. Die Knotenanbläserinnen galten als Zauberinnen; sie übten einen bestimmten "Knotenzauber" aus, indem sie Stricke verknüpften und jeden einzelnen Knoten anhauchten; damit sollten andere Menschen verhext werden. Diese Zauberei war eine Art von Magie, und sie steht hier in dieser Sure stellvertretend für Magie im Allgemeinen. Die Erwähnung der Zauberei in diesem Vers beweist, dass es Magie tatsächlich gibt und dass sie Schaden anrichtet; es ist eine bekannte Tatsache, dass Magie mit Täuschung, Betrug und Suggestion zusammenhängt, dass dabei mit den Gefühlen und Sinneswahrnehmungen der Menschen, ihrem Aberglauben und ihren Ängsten gespielt wird. Dagegen kann kein Mensch tatsächlich zaubern in dem Sinne, dass er etwas von Allah (t) Erschaffenes durch noch so geschickte Vorgehensweise verändert oder etwas von Ihm Gewolltes durch "magische Kräfte" oder Hexerei beeinflusst. Den Neid kann man in drei Kategorien einteilen: erstens in den Wunsch nach Aufhören einer Wohltat oder Gunst, die einem anderen zukommt; dann in den Wunsch, dass einem anderen gar nicht erst etwas Gutes widerfährt; und schließlich in den Wunsch, dass einen selbst dasselbe Wohlergehen trifft, ohne dabei dem anderen zu wünschen, dass die Wohltat, die ihm zuteilwurde, wieder verschwindet.[2]
Alles Lob gebührt Allah, Dem Herrn der Welten.
[1] vgl. dazu den Titel: "Zum Verständnis des Al-Qur’ān Al-Karīm", Islamische Bibliothek
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