21-08-2017
Es ist schon seltsam. So viele junge Menschen aus den Ländern der südlichen Erdhalbkugel wollen um alle Macht nach Europa auf der Suche nach dem finanziellen Glück. Dabei setzen sie nicht selten ihr Leben auf das Spiel. Bei mir war es umgekehrt. Aus dem reichen Deutschland mit seinem Überschuss, sozialem Netz, Versicherungen aller Art und sonstigen Bequemlichkeiten, setzte ich mich ab nach Afrika.
Eigentlich war das gar nicht so geplant. Ich wollte zwar immer weg, aber nicht in den Sudan, von wo ich jetzt diese Zeilen schreibe. Wenn ich zurückdenke, erinnere ich mich, dass ich schon immer weg wollte aus Deutschland, noch bevor ich Muslim wurde. Dieses Land, in dem ich geboren wurde und aufwuchs, gefiel mir nie sehr gut. Ich stellte mir vor, dass es irgendwo auf dieser Welt doch ein besseres, lebenswerteres Land geben müsse.
Später, als ich den Islam annahm, befand ich mich immer noch in Deutschland. Ich reiste in den folgenden Jahren zwar viel herum, aber ich konnte mich nie dazu entschließen, mich irgendwo anders niederzulassen und einen Neuanfang zu machen. Das änderte sich, als meine familiären Probleme immer größer wurden, und ich merkte, dass die einzige Lösung darin lag, mich von meiner Frau zu trennen. Das war nicht leicht, denn ich ließ immerhin auch ein Kind hinter mir. Im Zuge dieser Scheidung befand ich mich also allein. Das bedeutete mehr Unabhängigkeit, und ich dachte, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt meine Hijra durchzuführen.
Das Wort Hijra beschreibt ursprünglich die Emigration der ersten Muslime in ein Land, wo sie sicher den Islam praktizieren konnten. Es gab zwei Hijras. Bei der ersten, emigrierte ein Teil der Muslime nach Abessinien, wo sie Asyl bei Negus, dem christlichen König genossen. Die zweite Hijra, an der der Prophet (sas) persönlich teilnahm, bestand in der Auswanderung nach Medina. Dort waren die Muslime in Sicherheit vor der Verfolgung der mekkanischen Götzendiener und konnten den Islam so leben, wie es ihnen vorgeschrieben war.
Meine Hijra unterschied sich natürlich von dieser Hijra. Ich wurde ihn Deutschland nicht wegen meiner Religion verfolgt oder gefoltert, jedoch war meine Absicht, in einem Land zu leben, wo ich als Muslim respektiert wurde, wo ich nicht schief angesehen wurde, wo wir Muslime in der Mehrzahl und nicht in der Minderheit waren. Zudem wollte ich unbedingt Arabisch, die Sprache des Korans, der besten Gelehrten und des Paradieses endgültig erlernen.
Ich entschloss mich, nach Qatar zu gehen. Ein kleines, reiches Golfland, in dem ich Bekannte hatte. Dort war ich drei Monate, bis ich Probleme mit meinem Aufenthalt hatte. Die Einwanderungsbehörde teilte mir mit, ich müsse ausreisen, von dort ein neues Visum beantragen und könne dann wieder einreisen. Freundlicherweise bezahlte mir meine alte Arbeitsstelle, eine Da'wa-Organisation, mein One-Way Flugticket.
Wo sollte ich jedoch hin? Nach Deutschland auf keinen Fall, da kam ich ja gerade her. Pakistan vielleicht, oder Saudi Arabien? Warum nicht Sudan? Ja genau! Das sollte es sein. Ich hatte Freunde und könnte dort eine Weile umsonst wohnen, bis mein neues Visum für Qatar fertig sei.
Dazu kam es aber nicht mehr. Ich traf im Sudan einen alten Freund, mit dem ich in Deutschland geschäftlich tätig war. Wir entschlossen, einen Handel zusammen aufzubauen und warfen unser letztes Gespartes zusammen, um in Ware zu investieren. Damit war Qatar erst einmal abgeschrieben, und ich vermisste es auch gar nicht so sehr. Sudan gefiel mir gar nicht so schlecht.
Eine gute Sache am Sudan ist, dass wenn du erst einmal deine Aufenthaltsgenehmigung bekommen hast, dann fragt niemand mehr nach dir. Telefonanschluss haben die wenigsten, und eine funktionierende Post, geschweige denn Briefkästen, gibt es sowieso nicht. Man braucht keine Angst zu haben, dass plötzlich ein Trupp von bewaffneten Möchtegern-Rambos morgens früh um fünf in deine Wohnung stürmt, die nächsten sechs Stunden alles auf den Kopf stellt und danach deinen Computer, dein Bargeld und die Notizhefte mitnimmt. Das Gute am Nichtvorhandensein von Briefkästen ist auch die nichtexistierende Angst, jeden Tag aufs Neue Rechnungen, Mahnungen und Vorladungen zu finden.
Wie in jedem Land auf der Erde, gibt es im Sudan Vorteile und Nachteile. Ein Paradies auf Erden gibt es nicht, obwohl die internationalen Zionisten immer noch daran glauben, dies auf palästinensischer Erde verwirklichen zu können. Zuerst fällt mir die soziale Ungerechtigkeit ein, welche natürlich nichts mit dem Islam zu tun hat. Die meisten Menschen in der Hauptstadt Khartoum halten sich gerade so über Wasser. Da die Familien alle zusammen wohnen, hilft jeder jedem aus, falls es finanziell mal nicht so gut läuft. Dagegen gibt es eine Oberschicht, welcher es wirklich gut geht. Sie wohnen in Villen, fahren schicke Autos, und ihre Kinder gehen auf gute Schulen und Universitäten. Arme Kinder müssen sich oft ihr Klassenzimmer mit hundert anderen Schülern teilen. Wer sich keine private Universität leisten kann, muss an die staatlichen, billigen gehen. Es kann vorkommen, dass im Hörsaal der ersten Semester mehr als tausend Studenten sitzen. Gute Erziehung gibt es also fast nur mit Geld, und das ist ungerecht.
Erstaunlicherweise haben die Leute aber Geld zum Feiern. Sie mögen in Lehmhütten wohnen, aber 2000 Euro für eine Hochzeitsparty zu schmeißen, das ist völlig normal. Fast jede dritte Nacht hört man irgendwo in der Nachbarschaft die lauten und nervenden Klänge der Hochzeitssänger.
Der Dreck ist allgegenwärtig. Eine Müllabfuhr gibt es zwar, aber die nimmt nur die Hausabfälle mit. Die ganzen Verpackungen und Plastikflaschen, welche die Leute auf die Straßen und Wege werfen, bleiben liegen. Kanalisation soll es mal in mehreren Stadtvierteln gegeben haben. Ich habe zumindest noch keine gesehen. Wie früher in Deutschland auf dem Land gibt es tiefe Gruben, die irgendwann, falls nötig, von einem Tank-Lkw mit großem Absaugschlauch gelehrt werden. Die etwas wohlhabenderen Bauherren richten sich gleich eine tiefe Sickergrube für ihre Häuser ein, die nur selten gelehrt werden muss. Das Wasser vom Waschen, Duschen und Reinigen wird mehrmals täglich vor die Türen geschüttet. Dementsprechende Schlaglöcher haben auch die Wege, Asphalt gibt es nur auf einigen Hauptstraßen.
Die medizinische Versorgung ist eine absolute Katastrophe. Hier gilt auch wieder dasselbe Motto wie bei der Bildung: Wer Geld hat, ist gut dran. Wer keins hat, muss leiden. Leider ist Malaria zu einer Volkskrankheit geworden, und es gibt kaum jemanden, der sie nicht jedes Jahr auf neue bekommt. Die Medizin ist nicht billig, und wer sie nicht rechtzeitig zu sich nimmt, stirbt.
Das waren erst einmal die Sachen, welche mich am meisten hier nerven. Aber wenn alles so schlecht wäre, was würde mich dann noch hier halten? Ganz einfach, es gibt auch gute Punkte, welche mich diese schlechten übersehen lassen.
Die Absicht zum Zeitpunkt meiner Abreise aus Deutschland war, ein Land zu finden, in dem ich als Muslim respektiert werde, in dem die Gesetze des Islams weitgehend befolgt werden, und wo ich Arabisch lernen könnte. Diese drei Sachen habe ich im Sudan gefunden.
Wenn die Leute herausfinden, dass ich Deutscher bin, vor einigen Jahren zu Islam gefunden habe und den Islam praktiziere, dann sind sie äußerst erfreut. Sie laden mich ein und wollen mich näher kennenlernen. Sie lassen dich sofort fühlen, dass du einer von ihnen bist und kein Ausländer mehr.
Islamisch gesehen ist der Sudan eigentlich relativ weit, im Vergleich zu so einigen anderen muslimischen Ländern. Man hat seine Ruhe mit Alkoholikern, denn dessen Produktion, Verkauf und Konsum sind strengstens verboten. Banken versuchen zinsfrei zu arbeiten, islamische Erziehung ist im Bildungsprogramm obligatorisch, und man ist nicht ständig mit nackten und halbnackten Frauen konfrontiert, sei es in echt oder auf dem Bildschirm oder in Zeitschriften. Mit Fernsehen habe ich meine Ruhe. Hotbird bekomme ich nicht rein und bin von der ganzen Fitna der Fernseh-Erotikindustrie verschont. Die arabischen Kanäle schneiden zu größten Teil die ganzen dreckigen Szenen heraus. Wenn ich mal vergleichen würde, wie viel Prozent der Islam im Sudan verwirklicht ist im Vergleich Medinas zur Zeit des Propheten (sas), dann würde ich einfach mal sagen: 50 %. Nicht viel, aber ich sehe einen Aufschwung. Wo früher alles voll mit Kneipen war, steht jetzt eine große Moschee. Viele meiner älteren Freunde, die früher Gewohnheitstrinker waren, beten jetzt und praktizieren Islam. Die neue Generation wächst in einer viel reineren Umgebung auf, und ich habe viel Hoffnung.
Menschlich gesehen sind die Sudanesen Klasse. Wenn man das Glück hat, eine gute Frau zu heiraten, die aus einer ebenso guten Familie kommt, dann hat man seine Ruhe. Man fühlt sich so gut wie zu Hause. Familie, Nachbarschaft, Ehre, Brüderlichkeit, Würde und Respekt sind hier wirklich noch Werte, die umgesetzt werden und keine reinen Lippenbekenntnisse.
Finanziell gesehen schlage ich mich ausreichend durch. Ich schreibe für eine Zeitung Artikel über den Islam, übersetze ab und zu Bücher und habe nebenbei noch einen Handel am Laufen. In armen Ländern ist es schwer, einen gut bezahlten Job zu finden, es sei denn, man ist hoch qualifiziert und arbeitet für internationale Organisationen und Firmen. Ansonsten sollte man lieber Geschäfte betreiben oder Unterricht in seiner Muttersprache machen.
Nicht zu vergessen wäre da noch der Adhan, der fünfmalige Gebetsruf, der das Leben prägt und leitet. Ich liebe seinen Klang. Mit ihm stehe ich auf, und mit ihm bereite ich mich vor auf die Nacht. Während er in meinem Heimatland verboten ist, ist er hier Pflicht. Das ist, was ich gesucht habe - ein Land, in dem der Islam geliebt wird.
Von Aliefudien Al-Almany
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