Imam adh-Dhabi
21-01-2024
Große und kleine Sünden
Imam Qurtubi sagte hierzu in seiner Koran-Auslegung folgendes: „Allah (تعال) sagt: „Wenn ihr euch vor den großen Sünden hütet, welche euch verboten wurden, so werden Wir eure Fehler verbergen und euch auf eine ehrevolle Stufe erheben.“ (Sure an-Nisa, Vers 31)
In diesem Koranvers verbietet Allah (تعال) eine Anzahl von Sünden. Das, was Er hier verbietet sind die großen Sünden. Allah (تعال) verspricht, dass Er all jenen ihre kleinen Sünden vergeben wird, wenn sie sich vor den Vergehen hüten, die als große Sünden bezeichnet werden. Dieser Koranvers zeigt deutlich, dass die Sünden in klein und groß unterteilt werden. Darauf stützend haben einige Koran-Exegesen und Rechtsgelehrte geäußert, dass ausgehend von dem Versprechen Allahs kleine Sünden, wie z.ß: die Berührung oder die Betrachtung einer einem selbst verbotenen Frau, unter Umständen Vergebung finden, sofern man natürlich die großen Sünden meidet. Doch das bedeutet nicht, dass alle kleinen Sünden vollkommen vergeben werden. In einem anderen Koranvers zu diesem Thema heißt es:
„Die Reue, die vor Allah eine Akzeptanz findet, ist die Reue derjenigen, die unverzüglich um Vergebung bitten, nachdem sie in Unwissenheit Böses taten. Ihre Reue ist es, die Allah akzeptiert. Allah ist Allwissend und Allweise.“ (Sure an-Nisa, Vers 17)
In diesem Koranvers verkündet Allah (تعال), dass Er unter Umständen auch die großen Sünden vergibt.
Der Gesandte Allahs ﷺ sagte: „Das Pflichtgebet zu den einzelnen Tagesabschnitten, und der Zeitraum von einem Freitagsgebet zum anderen, sowie der von einem Ramadan zum anderen, sind jeweils eine Sühne für die Sünden, außer den großen.“
Der Gesandte Allahs ﷺ sagte einst von der Kanzel herab: „Ich schwöre bei Allah, in Dessen Händen sich mein Leben befindet.“ Dies wiederholte er dreimal und schwieg. Berührt von diesen Worten wurde jeder der Anwesenden von einer Traurigkeit befallen, sodass sie anfingen zu weinen. Anschließend sagte der Gesandte Allahs ﷺ „Es gibt keinen Diener Allahs, der seine täglichen Pflichtgebete verrichtet, sein Fasten im Monat Ramadan einhält und sich vor den sieben großen Sünden hütet, dem nicht am Tage des Jüngsten Gerichts alle acht Tore des Paradieses offen stehen.“
Dann lass er folgenden Koranvers: „Wenn ihr euch vor den großen Sünden hütet, welche euch verboten wurden, so werden Wir eure Fehler verbergen.“ (Sure an-Nisa, Vers 31)
Dass die kleinen Sünden, wie z.ß: das Betrachten einer selbst verbotenen Frau vergeben werden, wenn man sich vor den großen Sünden hütet, darin herrscht zwischen dem Koran und der Sunna Einklang.
Gelehrte die sich mit den Grundlagen des Islams beschäftigten, sagten bezüglich dieser Angelegenheit folgendes: „Das Meiden der großen Sünden, hat nicht unbedingt die Vergebung der kleinen Sünden zur Folge. Nur ist nach der vorherrschenden Vermutung, der führenden Hoffnung und dem festgeschriebenen Wunsch Allahs, ihre Vergebung sehr wahrscheinlich. Denn wenn wir sagen würden, dass durch das Meiden der großen Sünden den kleinen mit Bestimmtheit verziehen wird, so hätten wir das Begehen der kleinen Sünden für erlaubt erklärt. Das wiederum widerspricht der islamischen Scharia.“
Quschayri Abdu r-Rahim sagte: „Nach einer wahren Auffassung gilt, dass die kleinen Sünden ebenfalls zu den großen Sünden zählen. Nur im direkten Vergleich untereinander sind bestimmte Sünden größer oder kleiner als andere. Die Weißheit, die dahinter steckt, ist, die Diener vor jeder Sünde zu bewahren, ob groß oder klein.“
Wie bereits einige Gelehrte sagten, ist das Begehen von Sünden gleichbedeutend mit dem Einnehmen einer sich Allah widersetzenden Haltung.
Andere sagten: „Schaue nicht darauf, ob die Sünde klein oder groß ist, sondern nur darauf, gegenüber wem du dich auflehnst.“
Von dieser Perspektive aus betrachtet gehören alle Sünden zu den großen.
Der Richter (Qadi) Abu Bakr ibn Tayyib, Abu Ishaq Al- Isfarayini, Abu Muali, Abu Nasr Abdur-Rahim Al- Quschayri und andere sagten: „Bestimmte Sünden bezeichnete man im direkten Vergleich mit einer anderen als kleine Sünden. Zum Beispiel ist der Ehebruch im direkten Vergleich zum Kufr (Unglaube) eine kleinere Sünde. Das Küssen einer selbst verbotenen Frau wiederum ist im direkten Vergleich zum Ehebruch ebenfalls eine kleinere Sünde. Nach unserer Auffassung wird keine Sünde vergeben, nur weil man sich vor einer anderen hütet. Denn jede Sünde zählt zu den großen. Außer Kufr und Schirk, liegt ihre Vergebung allein in der Hand Allahs.“
Denn Allah ( تعال) sagt: „Allah wird es nicht vergeben, dass Ihm gegenüber Schirk begangen wird. Doch Er vergibt, was geringer ist als dies, wem Er will.“ (Sure an-Nisa, Vers 116)
In einem anderen Koranvers sagt Allah: „Wenn ihr euch vor den großen Sünden hütet, welche euch verboten wurden...“ (Sure an-Nisa, Vers 31)
Die großen Sünden von denen in diesem Vers die Rede ist, sind Schirk und Kufr. Die großen Sünden, die in beiden Koranversen erwähnt werden und die Allah keinesfalls vergeben wird und vor denen Er uns warnt sind Schirk, Kufr und ihre jeweiligen Facetten.
In den Rechtsgrundlagen des Islams gibt es eine Regel, die folgendes besagt: Ein Beweis, das einen allgemeinen Urteil beinhält, ist entsprechend den Beweisen auszulegen, die gebundene (eingeschränkte) Urteile beinhalten. Allah (تعال) sagt:
„Doch Er vergibt, was geringer ist als dies, wem Er will.“ (Sure an-Nisa, Vers 116)
Abu Umama überlieferte vom Gesandten Allahs einen Hadith, der diesen Koranvers unterstreicht. Darin heißt es: „Allah hat jedem das Feuer auferlegt und ihm das Paradies für haram erklärt, der sich durch Meineid unberechtigterweise den Besitz eines Muslims aneignet.“ Daraufhin fragten die Anwesenden: „O Gesandter Allahs! Auch wenn die Sache von sehr geringem Wert ist?“
Der Gesandte antwortete: „Auch wenn es nur ein als Zahnholz dienender kleiner Zweig von einem Arrak-Baum ist!“ (Muslim)
In diesem Hadith werden wir Zeugen von der Androhung einer schwerwiegenden Strafe, obwohl die genommene Sache nur von geringem Wert ist.
Ibn Abbas sagte: „All jene Vergehen zählen zu den großen Sünden, bei deren Begehen Allah mit Feuer, Zorn, Verdammung und Bestrafung droht.“
Ibn Mas'ud sagte: „Zu den großen Sünden gehören all jene Vergehen, die Allah in dieser Sura bis zur 33. Vers der Sura an-Nisa verboten hat.“
Tawus sagte: „Einst sagte man zu Ibn Abbas, dass die Anzahl der großen Sünden sieben ist. Dem erwiderte er, dass es nahezu siebzig sind.“
Said Ibn Jubayr sagte: „Einst sagte ein Mann zu Ibn Abbas, dass die Anzahl der großen Sünden sieben ist. Dem entgegnete Ibn Abbas, dass es nicht sieben, sondern nahezu siebenhundert sind. Weiterhin sagte er, dass das reumütige Bitten um Sündenvergebung die großen Sünden vernichtet, und das Beharren auf den kleinen Sünden diese zu großen werden lässt.“
Ibn Mas'ud sagte: „Die Anzahl der großen Sünden ist vier: das Aufgeben der Hoffnung zu Allah, das Zweifeln an der Barmherzigkeit Allahs, das Sich Sicherwähnen vor der Strafe Allahs und die Beigesellung eines Partners an die Seite Allahs.“
Von Ibn Umar wurde folgendes überliefert: „Die Anzahl der großen Sünden ist neun: die ungerechtfertigte Tötung eines Menschen, der Verzehr von Zinsen, der Verzehr von dem Eigentum eines Waisenkindes, die Verleumdung einer tugendhaften Frau, der Meineid, den Eltern Ungemach zuzufügen, die Flucht von dem Schlachtfeld, die Zauberei und das Begehen von Sünden in der Heiligen Moschee.“
Nach der Ansicht der Gelehrten sind folgende Vergehen die großen Sünden: der Diebstahl, das Glücksspiel, der Konsum von Alkohol, das Beschimpfen der Sahaba (Gefährten des Propheten), das Abweichen der Richter vom Recht, sich den Gelüsten zu beugen, der Meineid, das Zweifeln an der Barmherzigkeit Allahs, das Beschimpfen der eigenen Eltern, indem man die Eltern der anderen beschimpft, und der Versuch auf der Welt Fitna (Unheil, Intrige) zu stiften.
Aufgrund der Unterschiede in den einzelnen Überlieferungen, haben es die Gelehrten vermieden die großen Sünden zahlenmäßig einzugrenzen. Ohnehin liegt der eigentliche Zweck der Koranverse und der wahren Ahadith nicht darin die Anzahl der großen Sünden einzuschränken. Nichtsdestotrotz sind einige der Sünden, abhängig vom Grad ihrer Schädlichkeit, größer als andere. Zum Beispiel ist der Schirk eine größere Sünde als die hier aufgezählten, denn bezüglich des Schirks hat Allah uns mitgeteilt, dass Er dies keinesfalls vergeben wird. Als nächste große Sünde folgt diesem unmittelbar das Aufgeben der Hoffnung in die Barmherzigkeit Allahs. Denn dies ist gleichbedeutend mit dem Leugnen des folgenden Koranverses:
„Meine Barmherzigkeit umfasst alles.“ (Sure al-A'raaf, Vers 156)
Wer also denkt, dass ihm nicht vergeben wird, der hätte diese unbegrenzte Barmherzigkeit eingeschränkt, und das bedeutet nichts anderes als das Leugnen dieses Verses und folglich des Korans. In einem weiteren Koranvers, der dies bestärkt, heißt es: „Wer, außer den Verirrten, zweifelt an der Barmherzigkeit Allahs.“ (Sure al-Hijr, Vers 56)
Dem folgt als nächste große Sünde das Sich Sicherwähnen vor der Strafe Allahs. Das sind jene Menschen, die reihenweise Sünden begehen und sich dabei nur auf die Barmherzigkeit Allahs erlassen. Allah :sagt hierzu
„Wähnen sie sich etwa vor der unerwarteten Bestrafung Allahs in Sicherheit? Niemand, außer den Verlierenden, kann sich vor der Bestrafung Allahs sicher fühlen.“ (Sure al-A'raaf, Vers 99)
Die nächste große Sünde ist das ungerechtfertigte Töten eines Menschen. Denn hierbei geht es um die Vernichtung eines Lebens und der Existenz. Dem folgt Sodomie (Analverkehr unter Männern), welches die Nachkommenschaft unterbricht. Dann der Ehebruch, welches die Abstammung durcheinander bringt. Dann der Alkohol, der einem den Verstand raubt, welches für das Pflichtbewusstsein entscheidend ist. Dann das Unterlassen des täglichen Pflichtgebetes und des Gebetsrufes, denn beide zählen zu den Symbolen des Islams. Dann der Meineid, der dazu dient das Blutvergießen, den Besitztum anderer, und andere Dinge die Haram sind für Halal zu erklären. Dem folgen alle weiteren Sünden, deren Schädlichkeit offenkundig ist. All jene Vergehen, bei denen Allah mit einer Strafe droht, sowie all jene, die den Lebewesen Schaden zufügen, gehören zu den großen Sünden; alle anderen zu den kleinen.” (Tafsir Qurtubi Band 5, Seite 158-161)
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