HISTORISCHE TRADITIONSLINIEN - MUSLIMFEINDLICHKEIT

18-06-2024

Historische Traditionslinien

Historisch betrachtet ist Islam- und Muslimfeind­lichkeit in Europa kein gänzlich neues Phänomen, den Islam als das ‚Andere‘ im Gegenüber zum ‚Eigenen‘ zu beschreiben, besitzt hier eine lange Diskurstradition. Die Geschichte der Begegnung zwischen nahöstlich-muslimischen Gesellschaf­ten und dem sogenannten „christlichen Europa“1 war zweifelsohne stets auch von Konflikt, Abgren­zung, Konkurrenz, Aggression und entsprechen­der Polemik durchsetzt. Hingegen fanden Zeiten und Gegebenheiten des friedlichen Zusammen­lebens, der Verständigung, des kulturellen Aus­tauschs (wie der durch Übersetzung arabischer Werke geleistete Wissenstransfer) im Allgemeinen weit weniger Beachtung. Die Abgrenzung vom Islam als Antithese Europas erweist sich hier als ein durchgängiges Muster (vgl. Konrad 2010: 46), wobei Islam und Muslim*innen schon früh als territoriale und religiöse Bedrohung wahrgenom­men wurden.2

Die mittelalterliche Theologie und antiislamische Kontroversliteratur des lateinischen Westens enthält zahlreiche Abwertungen des Islams, der zunächst als eine christliche Irrlehre eines falschen Propheten verstanden wurde (vgl. Bobzin 2018; Colpe 2002). Die christliche Theologie sah sich insbesondere durch den Anspruch der neuen Glaubensgemeinschaft, der Koran sei die letzt­gültige Offenbarungsschrift, herausgefordert. Ent­sprechend wurde nicht nur der islamische Prophet Mohammed in polemischen Verzerrungen als ‚Lügenprophet‘ dargestellt, sondern auch der Koran als gefährliches ‚Fabelbuch‘ herabgewürdigt und missachtet und als Ursache für die Gewalt der ‚Sarrazenen‘ angeführt. Hierbei war die Kennt­nis islamischer Quellen in der Regel gering.
 

Zahlreiche stereotype Zuschreibungen finden sich vor allem in den hoch- und spätmittelalterlichen Polemiken (Ausbreitung mit dem Schwert, sexu­elle Zügellosigkeit etc.) grundgelegt. Texte, die um eine Verständigung bemüht sind, bleiben dem­gegenüber in der Minderzahl und wurden lange Zeit nur spärlich rezipiert (vgl. Goddard 2020).

Die in der abendländischen Wahrnehmung vor­herrschenden Muster einer Angst vor dem Islam und seiner gewaltvollen Expansion wurden vor allem durch die osmanischen Kriege im 15. bis 17. Jahrhundert ausgeweitet (vgl. Höfert 2010). In deren Zuge verankerte sich das Feindbild der ‚Tür­kengefahr‘ – im Sinne einer Bedrohung des christ­lichen Abendlandes durch den Islam – in Europa und wurde zum dominierenden Wahrnehmungs­muster. Wenngleich sich diese Muster im Zuge der Neuzeit und der Aufklärung auch wandelten, blieben die Wahrnehmungsweisen doch höchst ambivalent: Es entstand eine nicht minder prob­lematische Begeisterung für den ‚Orient‘, die auf das Exotische gerichtet war, bei der nicht mehr religiöse, sondern säkulare Kriterien bestimmend wurden (Stichwort Orientalismus). Damit einher­gehend formte sich ein europäisches Überlegen­heitsdenken aus, das Europa und den Islam als zwei gegensätzliche ‚Zivilisationen‘ zu bestimmen suchte (vgl. Konrad 2010). Insbesondere zur Zeit des Kolonialismus verstärkte sich dies, sodass man z. B. auch in Deutschland auf dem Berliner Kolonialkongress 1884 unter anderem über die „Gefahr der Islamisierung“ (Keskinkilic 2019: 35) sprach.


Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz
Bundesministerin des Innern und für Heimat

1 Europa ist durchaus christlich geprägt. Darüber hinaus existieren jedoch auch vielfältige andere identitätsstiftende Einflüsse. In den aktuellen Debatten über die „kulturelle Identität Deutschlands oder Europas“ scheint der Begriff mitunter verwendet zu werden, um „den Islam von Europa abzugrenzen“ (Marx 2021: 61). In diesem Fall wird er zu einem Argument, das eine vermeintliche Unvereinbarkeit von Muslim*innen mit ‚westlichen‘ Wertvorstellungen behauptet. 

2 Wenngleich im Mittelalter diverse Völker Küsten Südeuropas und Mittelmeerinseln angriffen, galten (in den Erzähltraditionen) vor allem die arabischen Muslim*innen als feindliche Macht, auf die die Kreuzzüge antworten sollten (vgl. Cardini 1999: 31).Zahlreiche stereotype Zuschreibungen finden sich vor allem in den hoch- und spätmittelalterlichen Polemiken (Ausbreitung mit dem Schwert, sexuelle Zügellosigkeit etc.) grundgelegt. Texte, die um eine Verständigung bemüht sind, bleiben demgegenüber in der Minderzahl und wurden lange Zeit nur spärlich rezipiert (vgl. Goddard 2020). Die in der abendländischen Wahrnehmung vorherrschenden Muster einer Angst vor dem Islam und seiner gewaltvollen Expansion wurden vor allem durch die osmanischen Kriege im 15. bis 17. Jahrhundert 


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