15-06-2024
Verschiedene Umfragen belegen seit Jahren konstant hohe Ablehnungswerte gegenüber Muslim*innen und der Religion des Islams seitens der deutschen Mehrheitsbevölkerung. So zeigt die „Leipziger Autoritarismus Studie“ von 2020, dass Muslimfeindlichkeit in West- und Ostdeutschland stark ausgeprägt ist. In Ostdeutschland geben 55 Prozent der befragen Personen an, sich „durch die vielen Muslime […] wie ein Fremder im eigenen Land“ (Decker et al. 2020: 64) zu fühlen. Mit gut 45 Prozent sind es allerdings auch in Westdeutschland nahezu die Hälfte der Befragten (vgl. ebd.). Laut „Mitte-Studien“ der Friedrich-Ebert- Stiftung haben im Zeitraum von 2002 bis 2019 ca. 20 bis 30 Prozent der Befragten muslimfeindliche Einstellungen (vgl. Zick/Berghan/Mokros 2019: 83).
Der „Bertelsmann-Religionsmonitor“ von 2019 bestätigt dies: 52 Prozent der deutschen Nicht- Muslim*innen empfinden den Islam als bedrohlich, lediglich 36 Prozent sehen in ihm eine Bereicherung (vgl. Pickel 2019: 3). Auch der Vergleich mit anderen Religionen macht klar, dass Christentum, Judentum und Buddhismus in der gesellschaftlichen Wahrnehmung deutlich positiver abschneiden (vgl. Pollack/Müller 2013: 37).
Festzuhalten ist, dass Vorbehalte gegenüber dem Islam und Muslim*innen bei einem erheblichen Teil der deutschen Gesellschaft vorhanden sind. Zur Beschreibung und Erklärung dieses Phänomens haben sich im Wissenschaftsdiskurs verschiedene Erklärungsansätze etabliert. International gebräuchlich ist der englische Begriff „islamophobia“, der durch den britischen Thinktank Runnymede Trust etabliert wurde (vgl. 1997).
Dieser stand jedoch recht schnell in der Kritik, u. a. weil er fälschlicherweise nahelegt, dass es sich bei antimuslimischen Einstellungen um „übertriebene Angstgefühle handele und nicht um folgenreiche Ressentiments“ (Pfahl-Traughber 2019). Im deutschen Kontext setzte sich hingegen früh der Begriff Islamfeindlichkeit durch.
Islamfeindlichkeit: Fokus auf subjektive Einstellungen
Der Begriff Islamfeindlichkeit basiert auf der langjährigen Tradition empirischer Feindbild- und Stereotypenforschung, die in der Sozialpsychologie disziplinär verankert ist (vgl. Zick 1997). Der Begriff hat den Vorteil, mit ihm subjektive und soziale Ursachenfaktoren für antimuslimische Einstellungen genau identifizieren und so Handlungsempfehlungen für die pädagogische und soziale Praxis auf Basis genauer Zahlen formulieren zu können.
Auch wenn mittlerweile regelmäßig Studien zur Verbreitung von islamfeindlichen Einstellungen veröffentlicht werden, so gehen wegweisende Erklärungsansätze und Erhebungsinstrumente v. a. auf die Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ (2002–2011) zurück (vgl. Heitmeyer 2015). Im Mittelpunkt steht das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF), demzufolge sich verschiedene Formen der Abwertung vulnerabler Gesellschaftsgruppen (u. a. Muslim*innen) zu einem zusammenhängenden Syndrom verdichten. Deren Kern bildet eine „Ideologie der Ungleichwertigkeit“. In ihr kommt die generelle Überzeugung zum Ausdruck, jene Gruppen seien weniger wert als die Gruppe, der man sich selbst zuordnet (vgl. Zick et al. 2008: 366–367). Bei GMF handelt es sich Zick und Kolleg*innen zufolge weder um ein gesellschaftliches Randphänomen noch um isolierte Einzelmeinungen. Vielmehr spiegelt sie „ein breites, kollektiv weithin geteiltes Meinungsmuster wider“, das „keine individuelle Disposition im Sinne eines Charakterzuges [darstellt], sondern Ausdruck der Abwertung von Gruppen durch Gruppen“ ist (Zick/Hövermann/Krause 2015: 65). Islamfeindlichkeit – in neueren Ausgaben als Muslimfeindlichkeit bezeichnet – stellt dabei eine der vielzähligen Abwertungsformen der GMF dar.
Schaut man nun auf die konkrete Bestimmung jenes Begriffs, lässt sich zunächst eine Konzepterweiterung erkennen, die im Laufe der Langzeitstudie vorgenommen wurde: Während sich Islamfeindlichkeit anfänglich noch stark auf das Individuum konzentrierte und dabei die Einstellungskomponenten kognitive Abwertung, affektive Ablehnung und distanzierte Verhaltensabsicht umfasste (vgl. Leibold/Kühnel 2003: 201), werden in neueren Definitionen auch gesellschaftliche Effekte berücksichtigt. So schafften Küpper zufolge islamfeindliche Vorurteile „ein Zusammengehörigkeitsgefühl und soziale Identität für eine Mehrheitsgesellschaft, die sich selbst immer weniger in religiösen Kategorien definiert“ und legitimierten zudem Ungleichheiten, die eben jene Mehrheitsgesellschaft „in nahezu allen wichtigen Lebensbereichen begünstigen“ (2010: 212). Dabei setzt sich das inhaltliche Spektrum von Islamfeindlichkeit aus verschiedenen Aspekten zusammen. Diese umfassen
„religiöse Begründungen der Ungleichwertigkeit (generalisierter Scharia-Verdacht), weltliche Begründungen (kulturelle Passung), rassistische Begründungen (Charakter, Aussehen) oder politische Begründungen (Terrorunterstellung)“ (Zick 2012: 36).
Im GMF-Modell wird Islamfeindlichkeit als Einstellungsphänomen operationalisiert. Dabei stehen institutionelle, strukturelle und diskursive Erscheinungsformen im Hintergrund. Die Studie prüft mittels statistischer Verfahren, worin mögliche Ursachen für islamfeindliche Einstellungen liegen könnten. Ausgehend von der Tatsache, dass nicht alle Personen einer nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft in Art und Ausmaß gleich islamfeindlich sind, ließen sich v. a. die Faktoren Alter, Bildung und Religionszugehörigkeit als relevante Erklärungsvariablen ausmachen. So weisen Ältere, Personen mit niedriger Bildung sowie solche, die sich stark mit dem christlichen Glauben identifizieren, eine signifikant höhere Feindlichkeit auf (vgl. Zick 2012: 42). Dasselbe gilt für bestimmte sozial geteilte Dispositionen, etwa eine hohe Identifikation mit der Nation, die Neigung zum autoritären Denken, soziale Dominanzorientierungen sowie ein kultureller Homogenitätsglaube – all diese Faktoren sind bei Personen besonders ausgeprägt, die in Umwelten leben, in denen Bedrohungs- und Ohnmachtsgefühle stark verbreitet sind („abwärtsdriftende Krisenregionen“4) und eine breite Zustimmung zu islamfeindlichen Haltungen vorherrscht (vgl. ebd.: 43).
Hingegen wirkten nachhaltige Kontakte zu Muslim*innen vorurteilsreduzierend – ein Befund, der auch von verschiedenen anderen Studien bestätigt wurde (z. B. K. Hafez/Schmidt 2015).
Zusammenfassend hat die Verwendung des Begriffs Islamfeindlichkeit den Vorteil, dass er seinen Schwerpunkt auf individuelle Einstellungen legt, die mittels etablierter Frage-Items und statistischer Verfahren wissenschaftlich ermittelt werden können. Zudem bringt der Begriff eine Reihe von Erklärungsansätzen mit sich, die über die individuellen und sozialen Ursachen von Islamfeindlichkeit Aufschluss geben. Auch wenn die Instrumente standardisierter Einstellungsforschung es nur bedingt erlauben, latente, diskursive sowie ‚positive‘ Formen von Muslimfeindlichkeit wie Exotismus5 oder Paternalismus zu erfassen, so ist der Begriff der Islamfeindlichkeit doch sehr geeignet, offen rassistische und kulturalistische Haltungen bevölkerungsweit zu ermitteln.
Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz
Bundesministerin des Innern und für Heimat
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