Der Mythos eines 1400-jährigen Konfliktes
21-08-2017
Der Prophet Mohammad sagte: „Gebt acht auf meine Gefährten! Macht sie nicht zum Ziel von Beschimpfung nach mir. Wer sie liebt, liebt mich, und wer sie hasst, hasst mich!“ [Imam Ahmad]
Während der europäischen Herrschaft über Ruanda erreichte die belgische Kolonialmacht zur Unterjochung der lokalen Bevölkerung etwas Erstaunliches, die willkürliche Erschaffung einer neuen ethnischen Teilung! Durch Erschaffung subjektiver ethnischer Kategorisierung basierend auf Körpergröße und Hautfärbung hielten die Belgier die einheimische Bevölkerung in ständigem Konflikt und dadurch ihnen selber untertan. Fabrizierte Geschichte und Abstammungslinien führten zur Kategorisierung in ‚Hutu‘ und ,Tutsi‘, Bezeichnungen, die aus dem Abfalleimer von Ruandas Geschichte gezogen wurden und über hunderte Jahre keinerlei Bedeutung hatten. Diese Strategie von „teile und herrsche“ führte schließlich 1994 zu dem Genozid, der 800,000 Menschen das Leben kostete. ‚Hutu‘ und ‚Tutsi‘, erst kürzlich erschaffene Identitäten, glaubten an die Mär, das sie seit Urzeiten in Opposition ständen.
Heutzutage hört man immer mehr von einem 1400-jährigen Krieg zwischen Sunniten und Schiiten, und dass die heutigen Konflikte nur eine einfache Fortsetzung der Geschehnisse des 7. Jhdt. wären. Diese Sichtweise wird mittlerweile selbst von den meisten Muslimen akzeptiert, obwohl die Geschichte etwas ganz anderes gezeigt hat! Die politischen Konflikte, die sich vor allem im Mittleren Osten zwischen Sunnis und Schiiten zusammenbrauen, erscheinen bei näherem Hinsehen dem gleichen Schema zu entspringen, wie die Teilung Ruandas in Hutu und Tutsi.
Als Verfechter sunnitischer Ideologie tut sich Saudi-Arabien hervor, selbst ein Produkt britisch-französischer Kolonialpolitik, während auf der anderen Seite vor allem Iran steht, dessen schiitisches Regime von Ayatollah Khomenei 1979 in Paris vorbereitet wurde, unter den Augen sämtlicher westlicher Geheimdienste. Von beiden Regimen rühren konsequenterweise die beiden Ideologien her, die die Muslime spalten und radikalisieren und den Mittleren Osten in ein Blutbad verwandeln: Salafi / Wahabi und Shia Rafidah.
Die jüngsten Terroranschläge in Teheran von der augenscheinlich CIA / Mossad unterstützten ISIS folgen dieser Strategie. Wieder geht es westlichen Mächten darum, die lokale Bevölkerung in einem ständigem Bürgerkrieg zu halten, um sich selbst zum Herrn der Situation zu machen. Wieder benutzen gut bezahlte Demagogen sehr geschickt theologische Unterschiede und alte Symbolik und Rhetorik, um den Mythos eines tausendjährigen Konfliktes zu beschwören. Wie aber sah Geschichte wirklich aus?
Sicherlich gab es Konflikte zwischen den unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften, aber gemeinhin prägte Pluralismus, Toleranz und Gutwillen die Atmosphäre und nicht Konflikt und Feindschaft. Über Jahrhunderte lebten Sunniten und Schiiten friedlich nebeneinander, ebenso mit Christen, Juden und anderen religiösen Gruppen. Gerade die Vertreibung und Versklavung der Jesiden durch die Schergen des sogenannten „Islamischen Staates“ basierend auf Salafi-Ideologie ist ein Beweis dafür, denn über tausend Jahre wurde den Jesiden ein solches Schicksal nicht zuteil, obwohl diese Region seit Anfangszeiten des Islam unter dessen Herrschaft stand. (D.h., wenn man den Berichten über die Jesiden glauben schenken darf! Es gibt auch Aussagen, dass diese Berichte gar nicht stimmen. Wir wollen hier nicht dem IS Sachen unterstellen, die er vielleicht nie getan hat, inklusive all der anderen Terroranschläge. Es könnte sein, dass vieles davon von den Feinden des Islam inszeniert wurde. In der heutigen Zeit des Fitan weiß man gar nicht mehr, was man mit Sicherheit glauben darf.)
Auch wenn das sunnitische osmanische Reich seinen Konflikt mit dem schiitischen Safawiden-Reich hatte, sie lebten auch jahrhundertelang friedlich nebeneinander und sahen es als schändlich an, mit einem anderen muslimischen Staat Krieg zu führen. Auch wenn es radikale Sekten gab, Sunniten und Schiiten führten Dialog seit Entstehung dieser Fraktionen. Die schrille Demagogik hat historisch gesehen erst sehr viel später angefangen, eben erst seit der Beherrschung des Nahen und Mittleren Ostens durch den Westen. Auch wenn es „Rafidah“ immer schon gegeben hat, die Schmähung der Prophetengefährten wurde erst unter dem Regime der Ayatollahs so richtig hoffärtig. In seinem Buch ‚Kitab al-Thaharah‘, vol. 3/457, schreibt Khomeini, daß Aishah, Thalhah, Zubair, Mu'awiyah und dergleichen Leute zwar äußerlich kein Najis (Kot, unrein) sind, aber schlimmer und ekelhafter als Hunde und Schweine.
Man wird bei genauerem Hinsehen sehen, dass die meiste Dogmatik, die den Konflikt mit den Sunniten heraufbeschwört, neueren Datums ist, genauso wie die kompromisslose Haltung der Salafis gegen alle Bid'ah (Neuerungen, also alles, was nach ihrer eigenen Definition nicht in den Islam gehört) auch neueren Datums ist. Auch dort wird die Kontinuität in der Geschichte beschworen, weswegen sie sich ja stolz Salafis nennen (von Salaf, den Zeitgenossen des Propheten s.a.w.). Aber auch hier entpuppen sich die „geschichtliche Kontinuität“ und das „Zurück zu den Ursprüngen“ als recht neue Dynamik mit eigener politischen Zielsetzung.
Wenn wir aber nun wirklich versuchen zu ergründen, was vor 1400 Jahren geschehen ist, wird man sehen, dass sowohl Sunniten als auch Schiiten einige legitime Punkte haben. Der Hauptstreitpunkt ist der, dass nach schiitischer Auffassung Ali r.a., der Schwiegersohn des Propheten s.a.w., hätte der erste Kalif hatte werden müssen, und dass nur Angehörige des Propheten s.a.w. Kalifen bzw. Imame werden können und diese von Allah festgelegt werden, nicht von den Menschen.
Für diese Anschauung sprechen mehrere Punkte, wie z.B.:
• Allah sagt im Koran: „Und Wir erweckten Führer aus ihrer Mitte, die (das Volk) nach Unserem Gebot leiteten, weil sie geduldig waren und fest an Unsere Zeichen glaubten.“ [as-Sajada 24] Hier erscheint es so, dass es Allah ist und nicht die Menschen, der die Führer festlegt, womit die Shura, die Abu Bakr r.a. und Uthman r.a. als Kalifen festlegte, ungültig ist.
• Der Prophet s.a.w. sagt im sogenanten Hadith Ghadir Khum: „Wer immer mich zum Maula gemacht hat, hat auch Ali zum Maula gemacht.“ Dieser Hadith aus dem 10. Jahr Hijriah wird in etwas unterschiedlichen Wortlauten von Ahmad, Tirmidhi und al-Hakim überliefert. ‚Maula‘ hat die Bedeutung von ‚Herr‘ und deutet eine Authorität an, die sowohl spiritueller als auch weltlicher Natur sein kann. Gemeinhin wird heutzutage ‚Maulana‘ (unser Herr) für spirituelle Führer gebraucht. Dieser Hadith soll belegen, dass Rasulallah s.a.w. Ali r.a. als seinen Nachfolger festlegte.
Es gibt noch viele andere Punkte, aber wir wollen nicht zu sehr in diese Thematik gehen und uns nur kurz auf diese Punkte exemplarisch beschränken. Wie man sieht, kann man durchaus der Meinung sein, der schiitische Standpunkt wäre gerechtfertigt. Warum aber die Sunniten nun nicht diese Meinung teilen, sind unter anderem die folgenden Gründe:
• Die Familie des Prophten s.a.w. hat sich niemals gegen das Prinzip der Schura gestellt. Ali r.a. hat sogar an der Schura zur Wahl des dritten Kalifen selber teilgenommen und das Prinzip der Schura vor Mu'awiyah verteidigt (Syarh Nahju al-Balaghah, vol. 3, s. 7). Allah kann Führer auch durch das System der Schura festlegen, indem Er einfach die Menschen den Führer wählen lässt, den Er will. Letztlich ist ja alles in Seiner Hand.
• Die Sahabas selber haben den Hadith von Gadir Khum niemals so interpretiert, dass Maula als ‚Amir' oder ‚Imam', also ‚Führer‘ im weltlichen Sinne zu verstehen ist, sondern Alis besonderen Status in spiritueller Hinsicht hervorhob (sabab al-wurud), in Bezug auf Liebe, Solidarität und Gehorsam. Ali r.a. hat diesen Hadith selber nie benutzt, um seinen Anspruch auf das Kalifat zu beanspruchen.
Man kann nun ewig und drei Tage über diese und andere Punkte streiten. Man kann sich fragen, ob Mu'awiyah nicht die Herrschaft unrechtmäßig an sich reißen wollte, weil er ja immerhin der Sohn von Abu Sufyan war, dem ehemaligen Anführer der Quraish, und warum es wohl richtig war, dass Hussain r.a., der Enkel des Propheten s.a.w., Yazid die Gefolgschaft verweigerte und so weiter, aber was soll das bringen? Wer damals Führer war oder Führer hätte sein sollen, betrifft uns 1400 Jahre später doch nicht mehr besonders! Und sowohl Sunniten und Schiiten glauben ja, dass der nächste Führer der Muslime, al-Mahdi, aus der Familie des Propheten s.a.w. kommen wird, der den Muslimen dann schon klar machen wird, wer wo Recht hatte.
Wenn man unbedingt an ein Imamat glauben will, obwohl dies nirgends im Koran explizit erklärt wird (was sicherlich der Fall wäre, wenn so etwas darüber entscheiden würde, ob jemand in die Hölle kommt oder nicht), dann soll man es doch gerne tun! Das ist ja nicht weiter ein großes Problem!
Was aber ein großes Problem ist, was nun den gesamten Nahen / Mittleren Osten droht, in den Bürgerkrieg zu reißen, ist, dass zusehends die Schiiten einen Feldzug gegen die Gefährten des Propheten s.a.w. starten. Diejenigen, die die Prophetengefährten schmähen, waren vormals nur eine kleine Gruppe, eine Sekte, die Rafidah, mit denen man laut den vier sunnitischen Rechtsschulen nicht beten soll, nicht heiraten soll, nicht beerben und so weiter. Historisch gesehen war dies niemals die Hauptströmung der Schiiten gewesen, sonst hätte Geschichte völlig anders ausgesehen! Al-Azhar, der größte Sitz sunnitischer Gelehrsamkeit, hätte niemals schiitische Theologie als integrierte Rechtsschule gelehrt, und Schiiten wären sicherlich nicht zum Haj zugelassen worden. Und kann man sich vorstellen, dass Schiiten mit Sunniten von Afrika über Yemen, Syrien, Pakistan bis hin nach Pasaman auf Sumatra jahrhundertelang in friedlicher Nachbarschaft zusammengelebt hätten, wenn sie gesagt hätten, „Abu Bakr und Umar sind schlimmer als Hunde und Schweine, und alle, die dies nicht glauben, sind Ungläubige“?
Es kann auch deswegen niemals die Hauptströmung der Schiiten gewesen sein, weil die Beweise erdrückend sind, dass die Familie des Propheten (Ahl Bait) und zuallererst Ali r.a. selber, die anderen Sahabas nie gehasst haben und als Ungläubige betrachteten, wie es heute bei den Schiiten Mode wird:
• Ali r.a. hat Umar r.a. den Treueeid (bay'at) geschworen! Hätte er dies gemacht, wenn er der Meinung gewesen wäre, Umar r.a. wäre ein Unterdrücker oder gar Ungläubiger? Sicherlich nicht! Nun sagen die heutigen Demagogen und ihre Gefolgschaft, daß er dies nur unter Druck gemacht hätte. Damit machen sie ja Ali r.a. selber schlecht und stellen ihn als Feigling hin!
• Ali r.a. hat Umar r.a. seine eigene Tochter Umm Kultsum zur Heirat gegeben. Hätte er dies gemacht, wenn er geglaubt hätte, Umar r.a. wäre ein unreiner Ungläubiger, ein Murtad? Wieder wird gesagt, er hätte dies nur unter Druck gemacht, und stellen Ali r.a. wieder als jemanden hin, der keine Ehre hat und Menschen mehr fürchtet als Allah! Wo soll denn da der Löwe sein, von dem sie sprechen? Ein Hasenfuß, der seine eigene Tochter zur Vergewaltigung hergibt, um seine eigene Haut zu retten? Wie kann man sowas glauben und gleichzeitig Ali r.a. verehren? Absurd!
• Ali r.a. hat einigen seiner Söhne die Namen der drei Kalifen gegeben: Abu Bakr, Umar und Uthman bin Ali bin Ali Thalib. Alle diese Söhne starben mit ihrem Bruder Hussain r.a. in Karbala. Macht es irgendeinen Sinn, dass man seine Söhne nach denen benennt, die einen auf das Schwerste Unrecht zugefügt haben, es sei denn, man zieht wieder mal das Argument des Hasenfußes heran? Auch die nachfolgenden Generationen der Ahl Bait haben die Namen der Sahabas und selbst den Namen von Aisha r.a. verwendet (wie z.B. Umar bin Hussain bin Ali bin Ali Thalib, Aisyah binti Al Imam Ja'far bin Musa Kazhim, Aisyah binti Muhammad bin Al Hasan bin Ja'far bin Al Hasan und viele andere), ein klarer Beweis, daß die Familie des Propheten s.a.w. die Gefährten des Propheten s.a.w. niemals gehasst haben, sondern im Gegenteil verehrt und geliebt haben.
Der moderate schiitische Standpunkt war deswegen immer gewesen, dass zwar Ali r.a. und seine Nachfahren hätten Kalifen werden sollen, dass Ali r.a. aber sich nicht gegen den Ijtihad der anderen Sahabas stellte, weil er die Einheit der Muslime wahren wollte. Auch hat er nie die Gefährten wegen ihrer anderen Interpretation als Ungläubige betrachtet, sondern mit Respekt und Zuneigung. Dies ist die Sichtweise, die ein friedvolles Zusammenleben mit den Sunniten auf Jahrhunderte ermöglichte und in Einklang mit den oben aufgeführten Tatsachen steht.
Und diejenigen, die nach ihnen kamen, sagen: "Unser Herr, vergib uns und unseren Brüdern, die uns im Glauben vorangingen, und lass in unsere Herzen keinen Groll gegen die Gläubigen. Unser Herr! Du bist wahrlich Gütig, Barmherzig." [al-Hashr 10]
Die Gruppe, die die Sahabas schlecht gemacht hat, war bis zur jüngeren Zeit eine kleine, unbedeutende Sekte, die Rafidah. Es sind die Feinde der Muslime, als allererstes natürlich Master-Mind Satan selbst, der diese Sekte zu einer der führenden Strömungen im heutigen Islam machte und es so hinstellte, als ob Schiiten schon immer die engsten Prophetengefährten als Ungläubige betrachteten, zusammen mit all diejenigen, die diesen extremen Standpunkt nicht teilen.
Genauso wurde auch das andere Extrem erschaffen, die intolerante Salafi-Bewegung auf der Gegenseite. Das Ziel ist, diese beiden Gruppen aufeinander zu hetzen und den Mittleren Osten in einen Strudel der Vernichtung und Blutbad noch nie gesehenen Ausmaßes zu ziehen, um sich selbst als Herrscher krönen zu können, wobei diese islamischen Fraktionen auch nur wiederum Bauern in einem größeren Spiel sind.
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