22-08-2017
Kurze Vorbemerkung des Übersetzers (Abu Bakr Stark): Dieser Artikel von Khalid Baig zeigt die Situation des Bildungssystems in den islamischen Ländern. Er zeigt in einer kurzen Art und Weise die Problematik auf und versucht Denkanstöße zu geben. Es sollte jedoch dem Leser klar sein, dass solch ein kurzer Artikel keine "Lösungen" aufzeigen kann, sondern der Text kann nur hervorheben, worin das Problem besteht. Auch die Muslime, die in der westlichen Welt ihre Ausbildung bekommen, sollten sich bewusst sein, dass diese zum großen Teil von einer rein westlich orientierten Sichtweise bestimmt wird. Zum Teil ist die Übersetzung ein wenig hölzern. Dennoch hoffe ich, dass der Text verständlich ist. Die kursiven Anmerkungen in Klammer sind von mir zum besseren Verständnis hinzugefügt worden.
Der von Khalid Baig geschriebene Artikel:
Eine kurze Frage: Wer hat Amerika entdeckt? Eine fast sichere Antwort lautet: Warum? - Natürlich Kolumbus. Der kluge Schüler kennt vielleicht sogar die Geschichte, dass Kolumbus dachte, er habe Indien erreicht und deshalb die Einheimischen, die er antraf, Indianer nannte. Wenn das Ziel der Bildung darin besteht, gutes Wissen und kritisches Denkvermögen hervorzubringen, dann zeigt die Antwort das unglaubliche Versagen des Bildungssystems, welches heutzutage in der muslimischen Welt vorherrschend ist. Denn niemand fragt nach dem Offensichtlichen: Wie kann jemand damit ausgezeichnet werden, ein Land entdeckt zu haben, welches schon bevölkert war? Kolumbus war der erste Europäer, der Amerika entdeckt hat, nicht der erste Mensch! Hunderttausende Männer und Frauen waren schon vor ihm dort und lebten dort seit Jahrhunderten. Die Behauptung über Kolumbus enthüllt ein eurozentrisches Gedankensystem und genau diese Voreingenommenheit geht unhinterfragt und unentdeckt (durch das Bildungssystem).
Dies ist nicht die einzige fragwürdige Tatsache, welche unsere Schulen und Universitäten aufwirft und die durch unsere Lehrer und Lehrbücher verbreitet wird. In jedem Studienfach stützt man sich auf Tatsachen, Ideen, Vorstellungen, Werte, Vermutungen, Perspektiven, Erklärungen, Wahrheiten und Prinzipien, die fragwürdig, säkular und anti-Islamisch sind. Und zugleich glauben alle aufrichtig, dass sie einen großen Dienst vollbringen, indem sie so die Bildung fördern.
Bildung ist eine wunderbare Sache, aber was unterrichten wir wirklich? In der Wissenschaft lehren wir unseren Studenten, das Universum aus der Sichtweise eines Menschen zu betrachten, der Gott nicht kennt.
"Und an wie manchen Zeichen in den Himmeln und der Erde gehen sie vorbei, und sie sind davon abgewandt" (Der edle Koran 12:105).
Ein angemessenes Studium der Wissenschaft müsste sowohl die Macht und Größe Allahs würdigen, als auch die Bescheidenheit und Begrenztheit des menschlichen Wissens und der menschlichen Möglichkeiten erkennen. Heutzutage verfolgt unsere wissenschaftliche Bildung genau das Gegenteil. Sie scheitert ebenso daran, es den Studenten zu vermitteln, die wissenschaftliche Meinung von den Tatsachen zu unterscheiden. Lasst uns nun fragen: Gibt es in der gesamten muslimischen Welt eine islamische Lehrwissenschaft, deren Absolventen Darwins Evolutionstheorie auf wissenschaftlicher Basis herausfordert? Wenn wir Wissenschaft unterrichten, unterrichten wir (dann) die Kinder über die angemessenen Standpunkte der Wissenschaft, nämlich ihre Begrenztheiten zu kennen? Können sie (die Schüler) den "technologischen Imperativ" hinterfragen?
Ein Arzt der Medizin würde als inkompetent eingestuft werden, wenn er die begrenzten Möglichkeiten der Medizin und der damit verbundenen Behandlungsweise nicht kennen würde. Ein Ingenieur würde als unqualifiziert betrachtet werden, wenn er nicht die "Begrenztheit" seiner Werkzeuge kennen würde. Warum beinhaltet unser Wissenschaftsunterricht dann nicht solch (einen Hinweis) auf ihre begrenzten Möglichkeiten? Weil sie ( die Wissenschaften ) für die säkularen Gedankengänge das ultimative Werkzeug sind, das oberste Entscheidungskriterium zwischen wahr und falsch! Wenn wir das nicht bemerken, (dann) haben wir (diese) Voreingenommenheit übernommen und unsere wissenschaftliche Bildung spiegelt diese dann wieder.
Das Problem lässt sich nicht auf Wissenschaft und Technologie begrenzen. Die Jahrgangsbesten, unsere MBA's, haben gelernt, dass das Ziel der Wirtschaft Gewinnmaximierung ist und die angemessene Art, wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen richtet sich nach der Kosten-Nutzen Analyse. All dies sind in ihren Augen unabänderliche Realitäten, aber sie sind (ebenso) fragwürdig, wie unsere Feststellung über Kolumbus. Die besten unserer Journalisten verfügen über keine andere Art des Journalismus als der des Westens. Sie versuchen keine eigenen Analysen über die Nachrichten (zu machen). In den Wirtschaftswissenschaften unterrichten wir, dass menschliche Wesen gewinn-maximierende Tiere sind, die von Maslow's Hierarchie der Bedürfnisse geleitet werden. In unserem Geschichtsunterricht werden ziellose Ereignisse erwähnt, die ohne moralischen Hintergrund entstehen. Wir sehen (darin) nicht die "Gesetze" Allahs, die den Aufstieg und Fall von Völkern bestimmen. In den Fächern Psychologie, Soziologie, Medizin, Ingenieurswissenschaften, Gemeinschaftskunde oder Geografie ist es das gleiche. Tatsächlich sind unsere Schulen und Universitäten die Hauptverantwortlichen für die Säkularisierung der Islamischen Gesellschaften und verantwortlich für diese Lehren, dass der Islam unwichtig ist, um diese Welt zu verstehen und deren Probleme zu lösen. Viele ihrer Absolventen entwickeln ein falsches Verständnis und bekommen Zweifel an ihrem Glauben. Aber selbst wenn sie fromme und praktizierende Muslime sind, sind sie dennoch nicht ausgebildet, die säkularen Dogmen, welche in unsere Lehrpläne integriert wurden, zu benennen und herauszufordern.
Diese große Tragödie gibt es erst seit kurzem, und eine historische Sichtweise kann hilfreich sein. Seit Jahrhunderten war unser Bildungssystem frei vom Gegensatzpaar säkular vs. religiös. Unsere Schulen unterrichteten die wichtigen Fächer, indem sie eine einheitliche Haltung verfolgten. Solange die Muslime die Vormachtstellung in allen wissenschaftlichen Bereichen besaßen (bis zum 15. Jahrhundert), vor allem in den Fächern Medizin, Astronomie und Chemie, entwickelte sich keine säkulare Voreingenommenheit.
Das Gegensatzpaar (religiös / säkular) entstand im Westen während der Renaissance, als die religiösen Dogmen, welche eine Last geworden waren, abgelegt wurden und so wurde ein schneller Weg zum materiellen Fortschritt gefunden, indem man (nur) religiöse oder säkulare Wege verfolgte. Die industrielle Revolution kam in Schwung. Der Kolonialismus brachte die säkulare Ideologie und die Religion des säkularen Humanismus in die muslimischen Länder. Zu dieser Zeit waren die Muslime an allen Fronten am Tiefpunkt. Sie haben die intellektuelle Vorherrschaft dem Westen überlassen und sind gescheitert, mit den wissenschaftlichen Entwicklungen Schritt zu halten. Sie befinden sich in einer Situation, die man nicht gewinnen kann. Wenn sie die westlichen Sichtweisen akzeptierten und unterrichteten, würden sie zugleich auch anti-Islamische Dogmen lehren. Wenn sie abgeschottet blieben, würden sie hinter der Wissenschaft und dem materiellen Fortschritt hinterher bleiben.
Als Antwort entwickelten die Muslime zwei Ansätze: Unsere Darul Ulums (traditionelle Islamische Schulen) bewahrten das islamische Wissen und Werte, indem sie sich hermetisch von den westlichen Einflüssen abschotteten. Aufgrund dieser Bemühungen ist das Islamische Wissen heutzutage lebendig und wohlbehalten. (Wo man in dieser Hinsicht nachlässig war, wie in einigen arabischen Ländern, war das Ergebnis ein Kompromiss in ihrem Islamischen Charakter, ohne den Vorteil in der Qualität der Bildung). Jedoch sind sie (die Absolventen der Darul Ulums) nicht damit ausgestattet, die Führung in den anderen Bereichen der Gesellschaft zu übernehmen. Diese Rolle kam den Absolventen der westlich geprägten Schulen und Hochschulen zu. Unglücklicherweise nähren diese Schule eine säkulare Art, diese Welt zu betrachten und deren Probleme zu lösen. Die Spannungen, die diese beiden diametral entgegengesetzten Systeme erzeugen, kann man heutzutage in jedem muslimischen Land sehen.
Diese Dichotomie muss enden. Wir können nicht vorwärts schreiten, ohne unsere Bildung auf Vordermann zu bringen. Wir können nicht einen Islam in unseren Gesellschaften aufbauen, ohne gebildete Bürger und Führer hervorzubringen, die für eine Islamische Gesellschaft gebraucht werden. Es ist an der Zeit, Islamische Kurrikula zu entwickeln und die säkularen Befangenheiten aus unserer Bildung zu entfernen. (Einfach) nur noch mehr Schulen aufzubauen ist keine Antwort. Bildungseinrichtungen, die jedes Fach in einem ganzheitlichen Islamischen Kontext lehren, müssen entwickelt werden. Das ist eine monumentale Aufgabe. Aber ohne sie werden wir die Unwissenheit im Namen der Bildung weiter verbreiten.
Von Khalid Bai
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