06-07-2024
Vorurteile und Zuschreibung von Rückständigkeit
Repräsentative Studien zu Vorurteilen, aus denen hervorgeht, dass der Islam pauschal als rückständige Religion wahrgenommen bzw. mit der Unterdrückung von Frauen assoziiert wird, sind rar. Eine aktuelle Studie unter jungen Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren, die sich mit unterschiedlichen Facetten von Muslimfeindlichkeit befasst, kommt zu dem Ergebnis, dass rund 38 Prozent der Befragten der Aussage „Muslimische Frauen sind unterdrückt“ zustimmen (Janzen/Ahrens 2022: 7–8). In der Regel sind Vorurteile unter Jüngeren seltener verbreitet, so dass der Anteil derjenigen, die dieser Aussage zustimmen, in der Gesamtbevölkerung deutlich höher liegen dürfte. Hier zeigt sich eine große Kluft zwischen Lebensrealität der muslimischen Bevölkerung und ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung; eine groß angelegte Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hat bereits vor rund zehn Jahren gezeigt, dass die Benachteiligung von Frauen primär mit sozioökonomischen Faktoren in Zusammenhang steht – und weniger mit religiösen (vgl. Becher/El-Menouar 2013).
Studien älteren Datums kommen sogar auf deutlich stärker verbreitete Vorurteile zur Benachteiligung von muslimischen Frauen: Im Rahmen einer repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2008 haben über drei Viertel der Befragten die Meinung vertreten, dass „die muslimischen Ansichten über Frauen unseren Werten widersprechen“ (Zick/Küpper/Hövermann 2011: 70–72). Im Jahr 2010 antworteten 82 Prozent der Bevölkerung auf die Frage, was sie mit dem Islam assoziieren, mit „die Unterdrückung der muslimischen Frau“ (Pollack 2014: 20–21). Die im Jahr 2012 veröffentlichte FES-Mitte-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 58 Prozent der Befragten der Ansicht sind, dass „die islamische Welt rückständig [sei] und sich den neuen Realitäten [verweigere]“; ein ähnlich hoher Anteil mit 56 Prozent stimmt der Aussage zu: „Der Islam ist eine archaische Religion, unfähig sich an die Gegenwart anzupassen“ (Decker/Kiess/Brähler 2012: 92). Mit Blick auf die allgemeinen Vorbehalte mit Bezug auf den Islam, die wie im vorangegangenen Abschnitt dargelegt noch heute ähnlich hoch sind wie vor zehn Jahren, kann davon ausgegangen werden, dass auch das allgemeine Bild des Islams als rückständige Religion, das vor allem mit der Unterdrückung von Frauen assoziiert wird, auch heute noch ähnlich stark verbreitet ist. Aktuelle Studien decken diese Facette von Muslimfeindlichkeit jedoch nur unzureichend ab.
3.1.3.3 Vorurteile und Zuschreibung von Gewalt und Terror
Im Jahr 2012 ist mit einem Anteil von 47 Prozent rund die Hälfte der Bevölkerung der Meinung, dass die Nähe von Islam und Terror im Islam selbst angelegt sei (vgl. Decker/Kiess/Brähler 2012: 92). Im Jahr 2021 stimmen unter jungen Erwachsenen im Alter von 14 bis 29 Jahren rund 17 Prozent der Aussage „Der Islam ruft zu Gewalt auf“ zu (Janzen/Ahrens 2022: 9–10). Es ist davon auszugehen, dass dieses Vorurteil in der Gesamtbevölkerung stärker verbreitet ist. Dieses Bild vom Islam wird teilweise auch auf Muslim*innen übertragen. In einer aktuellen Repräsentativbefragung des ALLBUS haben 46 Prozent der Bevölkerung den „Eindruck, dass unter den in Deutschland lebenden Muslimen viele Fanatiker sind“ (Baumann/Schulz/Thiesen 2022: 430–431). Fünf Jahre zuvor waren es mit 51 Prozent zwar etwas mehr Menschen, die so gedacht haben (vgl. GESIS 2017) – aber dieser Anteil hat sich bis heute nicht wesentlich reduziert. Das heißt, Muslim*innen in Deutschland und Menschen, die als solche wahrgenommen werden, sind mit einem weit verbreiteten Generalverdacht konfrontiert – auch wenn lediglich zwölf Prozent so weit gehen und der Mehrheit der muslimischen Bevölkerung unterstellen, islamistischen Terrorismus gerechtfertigt zu finden (vgl. Zick/Küpper 2021: 189–190). Dies kann weitreichende Folgen und massive Benachteiligung nach sich ziehen. Es ist eine große Unsicherheit in Bezug auf muslimische Religiosität festzustellen – muslimische Frömmigkeit kann deshalb mit Fundamentalismus verwechselt werden. Der Religionsmonitor hat mehrfach gezeigt, dass weder Religion im Allgemeinen noch einzelne Religionen und Religionsgemeinschaften im Widerspruch zur Demokratie stehen. Minderheiten mit fundamentalistischen Einstellungen sind religionsübergreifend, auch unter Säkularen zu finden und nicht einzelnen Religionsgemeinschaften vorbehalten (vgl. Halm/Sauer 2017; El-Menouar 2023; Pickel 2019).
3.1.3.4 Vorurteile im Bereich Integration
Ein ebenfalls stark verbreitetes Vorurteil ist, dass Muslim*innen angeblich nur unter sich leben und den Kontakt zur nicht-muslimischen Bevölkerung weitgehend vermeiden würden. So ist sogar mit 43 Prozent ein großer Anteil der jungen Menschen in Deutschland im Alter von 14 bis 29 Jahren der Meinung, „Muslime leben gerne in eigenen Stadtteilen“, und 37 Prozent denken, dass „Muslime lieber unter sich bleiben“ (Janzen/Ahrens 2022: 9–10). Es ist davon auszugehen, dass in der Gesamtbevölkerung ein deutlich größerer Anteil Muslim*innen pauschal eine Segregationsneigung unterstellt (vgl. Leibold/Kühnel 2006).
Große Teile der Bevölkerung haben zudem den Eindruck, dass Muslim*innen sich grundsätzlich nicht gut integrieren würden. Zwischen 44 Prozent (Bevölkerung ohne Migrationshintergrund) und 46 Prozent (mit Migrationshintergrund) lehnen folgende Aussage ab: „Die in Deutschland lebenden Muslime integrieren sich gut in die deutsche Gesellschaft.“ (Friedrichs/Storz 2022: 14)
Diese Befunde zeigen, dass sich das Bild einer mangelnden Integrationsbereitschaft und Segregationsneigung hartnäckig in Deutschland hält – quer durch unterschiedliche Bevölkerungs- und Altersgruppen. Auch hier zeigt sich eine große Kluft zwischen der Wahrnehmung und den Lebensrealitäten der muslimischen Bevölkerung. Die Ergebnisse des Religionsmonitors widerlegen dieses Vorurteil (vgl. Halm/Sauer 2017): Ganz im Gegenteil verfügt die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslim*innen sogar über (sehr) häufige Freundschaftsbeziehungen mit
der nicht-muslimischen Bevölkerung. Über drei Viertel der Muslim*innen berichten über häufige bzw. sehr häufige interreligiöse Freizeitkontakte. Auch die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zeigt, dass die muslimische Bevölkerung – entgegen verbreiteten Vorurteilen – sehr wohl über vielfältige Kontakte zur Bevölkerung ohne Migrationsgeschichte pflegt (vgl. Pfündel/Stichs/Tanis 2021: 164): So haben 86 Prozent mindestens gelegentliche Kontakte in ihrem Freundeskreis, rund 80 Prozent sogar in der eigenen Familie, jeweils etwa zwei Drittel sogar häufig Kontakt. Umgekehrt hat aber nur eine kleine Minderheit der nicht-muslimischen Bevölkerung tatsächlich Freizeitkontakte zu Muslim*innen, woraus sich schließen lässt, dass bei Teilen der nicht-muslimischen Bevölkerung lebensweltliche Kontakte zu Muslim*innen fehlen (vgl. Halm/Sauer 2017: 31–32; Vopel/El-Menouar 2015: 12).
3.1.3.5 Muslimfeindliche Forderungen
Häufig sind muslim- sowie islamfeindliche Vorbehalte und Vorurteile unbewusst und werden als solche nicht erkannt oder reflektiert. Aber auch sie können sich in diskriminierendem Verhalten niederschlagen und sind deshalb nicht weniger folgenreich als bewusste Ablehnung. Besonders drastisch wird Muslim- und Islamfeindlichkeit aber dann, wenn damit sehr bewusst (politische) Forderungen gegen Muslim*innen gestellt werden, die gegen Menschenrechte verstoßen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn Einschränkungen der Religionsfreiheit und anderer Grundrechte pauschal für eine ganze Religionsgemeinschaft befürwortet oder gar gefordert werden.
Ein durchgängig in verschiedenen Studienreihen eingesetztes Item ist der Grad der Zustimmung zu folgender Aussage: „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.“ Dabei handelt es sich um eine besonders muslimfeindliche Aussage, da hier mit den muslimfeindlichen Haltungen politische Forderungen verknüpft werden.
Im Rahmen der GFM-Surveys liegen dazu Daten von 2003 bis 2011 vor; ab 2014 liegen Ergebnisse der beiden Mitte-Studienreihen vor, die teils zu sehr unterschiedlichen Befunden kommen (s. ↗ Abb. 3.4). Hier ist wiederum zu vermuten, dass diese auf die unterschiedlichen Erhebungs modi zurückzuführen sind. Während die Leipziger-Mitte-Studien die Beantwortung dieser sensiblen Fragen unter möglichst großer Anonymität durchführten, fanden die FES-Mitte-Studien telefonisch statt. Letztere können wie bereits erwähnt mit größerem sozial erwünschtem Antwortverhalten einhergehen. Besonders groß sind die Ergebnisunterschiede für die Erhebungen in den Jahren 2018 (18 vs. 44 %) und 2020 (9 vs. 27 %). Ab 2018 wechselte die FES-Mitte-Studie von einer vier- zu einer fünfstufigen Antwortskala und führte eine neutrale Antwortoption ein; erfahrungsgemäß ‚flüchten‘ sich viele Befragte auf diese, um keine klare Position artikulieren zu müssen. Neben dem eingesetzten Erhebungsmodus nimmt also auch die eingesetzte Antwortskala Einfluss auf das Antwortverhalten, so dass die Ergebnisse nicht eins zu eins vergleichbar sind. Die Unterschiede zwischen den Erhebungsergebnissen erreichten jeweils rund 20 Prozentpunkte – bis auf das Erhebungsjahr 2016, in dem die Ergebnisse beider Studien mit 35 und 41 Prozent relativ nah beieinander lagen. Dies ist mit den gesellschaftlichen Debatten im Rahmen der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘ und dem zu dem Zeitpunkt sehr negativen Meinungsklima zu erklären, was vermutlich mit geringeren Hemmschwellen bei der Äußerung muslimfeindlicher Statements einherging.
Wenn die Erhebungsmodi berücksichtigt werden, lassen die Ergebnisse folgenden Schluss zu: Insgesamt ist der Anteil der Bevölkerung, der ein Verbot von einer Zuwanderung von Muslim*innen fordert, in den letzten 20 Jahren zurückgegangen und befindet sich heute bei 29 Prozent. Je nach Debattenlage können diese Anteile aber situativ zunehmen, was für eine relativ große Empfänglichkeit der Bevölkerung für muslimfeindliche Debatten und deren Mobilisierungs- und Spaltungspotenzial spricht.
Dies bestätigt sich auch mit Blick auf die Ergebnisse der ALLBUS zu Forderungen nach Einschränkungen der Religionsfreiheit der in Deutschland lebenden Muslim*innen (s. ↗ Abb. 3.5). So befürwortete 2012 fast jede*r Zweite die Aussage „Islamische Gemeinschaften sollten vom Staat beobachtet werden“, was einer allgemeinen Verdächtigung und Stigmatisierung muslimischer Gemeinden gleichkommt. Dieser Anteil steigt 2016 sogar auf fast 60 Prozent, sinkt aber nach der Fluchtmigration und mit Abebben der Islamdebatten wieder auf das Niveau von 2012 bzw. liegt sogar leicht darunter.
Im Jahr 2012 fordert zudem ein Drittel der Bevölkerung, die Ausübung des islamischen Glaubens einzuschränken und stimmt damit für eine Beschneidung der grundrechtlich gesicherten Religionsfreiheit. Dieser Anteil steigt um zehn Prozentpunkte im Jahr 2016 und pendelt sich 2021 wieder auf dem Niveau von 2012 ein.
In einer repräsentativen Untersuchung, bei der verschiedene Länder verglichen wurden, schneidet Deutschland bei der konkreten Umsetzung von Glaubensfreiheit besonders schlecht ab (vgl. Pollack 2014): Während noch auf abstrakter Ebene 81 (West) bzw. 75 Prozent (Ost) der Befragten angeben, dass alle Religionen respektiert werden sollten, fällt diese Zustimmung bei der konkreten Frage nach dem Bau von Moscheen in sich zusammen: Nur noch 28 (West) bzw. 20 Prozent (Ost) sind für das Recht auf den Bau von Moscheen – für Minarette sprechen sich sogar nur noch 18 (West) bzw. 12 Prozent (Ost) aus. Eine weitere repräsentative Studie fragt umgekehrt danach, ob der Bau von öffentlich sichtbaren Moscheen in Deutschland eingeschränkt werden solle; dem stimmen 42 Prozent der Befragten zu (vgl. Foroutan et al. 2014: 35). Das sind bemerkenswerte Ergebnisse, wenn man bedenkt, dass der Moscheebau und die Repräsentation der Muslim*innen durch eigene Gotteshäuser Teil gelungener Integration und Ausdruck von Glaubensfreiheit und sozialräumlicher Anerkennung von Muslim*innen ist (vgl. ebd.: 34–35).
Eine andere Studie verweist anhand der Daten des Religionsmonitors darauf, dass bei Fragen der Religionsfreiheit die negative Religionsfreiheit (die Freiheit vor jeglicher Religion) besonders betont wird und die Menschen bereit sind, Einschränkungen in Bezug auf die positive Religionsfreiheit (zur Religionsausübung) hinzunehmen. Beispielsweise wird das Tragen von religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit von vielen Menschen abgelehnt (vgl. El-Menouar 2019), was auch auf den zunehmenden Anteil von Menschen ohne Konfessionszugehörigkeit zurückzuführen ist.
Die dargestellten Ergebnisse weisen darauf hin, dass Muslim*innen aus verschiedenen Richtungen in den Fokus geraten – einerseits mit Blick auf die Debatten im Umgang mit Zuwanderung, andererseits mit Blick auf Wandlungsprozesse im religiösen Feld aufgrund von Entkirchlichung sowie religiöser Pluralisierung – die beide weit über die muslimische Bevölkerung hinausreichen und das gesellschaftliche Selbstverständnis insgesamt betreffen.
3.1.4 Deutschland im europäischen Vergleich
Der Fokus des vorliegenden Berichts ist Deutschland. Daher wird hier auf eine umfassende Darstellung des internationalen Forschungsstands verzichtet. Um die Ergebnisse jedoch in einen größeren Kontext zu stellen, werden im Folgenden ausgewählte Daten für vergleichbare Länder präsentiert. Ländervergleichende Studien wie der Religionsmonitor zeigen, dass Muslimfeindlichkeit nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern in weiten Teilen Westeuropas verbreitet ist (vgl. Pickel 2019). So sind 2017 auch in Frankreich, dem Vereinigten Königreich, der Schweiz und Österreich ähnlich große Anteile wie in Deutschland Muslim*innen gegenüber pauschal misstrauisch; dies betrifft jeweils Anteile zwischen 35 und 41 Prozent, wobei das Misstrauen in Deutschland am stärksten ausgeprägt ist (s. ↗ Abb. 3.6). Ebenfalls große Anteile der Bevölkerungen dieser Länder sehen im Islam eine Bedrohung: Etwa jede*n Zweite*n betrifft dies neben Deutschland auch in Österreich und der Schweiz; im Vereinigten Königreich und in Frankreich fällt dieses Bedrohungsempfinden mit 35 und 38 Prozent ebenfalls stark aus, aber weniger drastisch als in den zuvor genannten Ländern.
Eine frühere Studie aus dem Jahr 2014 kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland bei dieser Form der Menschenfeindlichkeit zwar am schlechtesten abschneidet, aber wir es hier mit einer gesamteuropäischen Gemengelage zu tun haben (vgl. Pollack 2014). Insgesamt ist festzustellen, dass es an einem EU-weiten Monitoring von Muslimfeindlichkeit mangelt. Die vorliegenden Studien liefern jedoch Hinweise, dass Muslimfeindlichkeit auch in anderen europäischen Ländern weit verbreitet ist und deshalb Maßnahmen zu deren Bekämpfung nicht nur national, sondern auch auf Ebene der EU verstärkt werden sollten.
Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz
Bundesministerin des Innern und für Heimat
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