MUSLIMFEINDLICHKEIT IN DEUTSCHEN MASSENMEDIEN

Antimuslimischer Rassismus

01-10-2024

Medien

Muslimfeindlichkeit in Massenmedien wird seit den 1990er-Jahren weltweit erforscht. Da direkte Kontakte zu Muslim*innen vielfach fehlen und Menschen ihr Wissen über den Islam, Muslim*innen und die islamische Welt in hohem Maße aus diesen Medien beziehen, gelten sie als Nadelöhr für die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit. Nicht nur zahlreiche Forschungseinrichtungen, kirchliche Akademien und Stiftungen betonen die gesellschaftliche Bedeutung des Islambilds der Medien. Auch der frühere Bundespräsident Johannes Rau hob die Rolle der Medien hervor; die Deutsche Islam Konferenz erklärte sie bei ihrer Gründung zu einem der zentralen Themen (vgl. Deutsche Islam Konferenz 2010: 282–289). Vieles deutet darauf hin, dass deutsche Medien zwar kein einheitliches Feindbild des Islams prägen. Dennoch sind mediale Islamdiskurse seit Jahrzehnten von einer einseitigen Negativtendenz gekennzeichnet, die deutliche Parallelen zur negativen Islamwahrnehmung der deutschen öffentlichen Meinung aufweist (vgl. Unterkapitel ↗ 3.1). Eine Mitverantwortung der Medien für Antimuslimischen Rassismus ist folglich nicht von der Hand zu weisen.

Das folgende Kapitel schafft nicht nur eine umfassende Übersicht über den Forschungsstand zu Massenmedien (Presse und Rundfunk), sozialen Medien und christlichen Medien. In allen Bereichen sind im Auftrag des UEM auch neue Forschungsprojekte initiiert worden:

• Repräsentative Inhaltsanalyse „Analyse der Islam-Berichterstattung in deutschen Medien“ (Freie Universität Berlin),

• Hearing des UEM mit deutschen Journalist*innen zu den Ursachen der Islamberichterstattung (UEM),

• Data-Mining-Studie zur Muslimfeindlichkeit im Bereich sozialer Medien „Begriffswelten von Islamfeindlichkeit in deutschen sozialen Medien“ (Johannes Gutenberg-Universität Mainz),

• Qualitative Inhaltsanalyse zur muslimischen Selbstrepräsentation in sozialen Medien „Social Media-Selbst(re)präsentation von Muslim*innen in Deutschland“ (Universität Erfurt),

• Qualitative Inhaltsanalyse zum Islambild christlicher Medien „Islamfeindlichkeit in christlichen Medien“ (Universität Bremen).


Muslimfeindlichkeit in deutschen Massenmedien

Trotz des in den letzten Jahrzehnten erkennbaren strukturellen Wandels in den Medien, der in der öffentlichen Debatte vielfach mit den „sozialen Medien“ verknüpft wird, sind die klassischen Massenmedien zumindest in Deutschland diejenigen mit den größten Reichweiten geblieben (vgl. Hölig/Hasebrink 2016). Ihre Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben wie für die Demokratie kann gar nicht groß genug eingeschätzt werden. Sie sind Träger und Gestalter der Öffentlichkeit, wobei streng genommen zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung unterschieden werden muss, da letztere Einstellungen und Meinungen der Bürger*innen beschreibt, die im Wesentlichen demoskopisch erfassbar sind. Die Publizistik der Massenmedien ist daher keineswegs identisch mit Öffentlichkeit, sie stellt allerdings eine wesentliche Grundlage zur Herstellung eines gesellschaftlichen ‚Gesprächs‘ bzw. Diskurses dar, der heute Nationalstaaten ebenso wie multinationale Sphären (z. B. die EU) und im Ansatz die Welt als Ganzes integriert (vgl. K. Hafez/Grüne 2021).

Im Folgenden soll nach einführenden theoretischen Vorbemerkungen der Forschungsstand zum Islambild und zur Muslimfeindlichkeit in deutschen Massenmedien dargelegt werden.

Es folgt eine Zusammenfassung einer aktuellen vom UEM beauftragten repräsentativen Studie zur Islamberichterstattung. Danach werden die Ergebnisse eines Journalist*innen-Hearings ausführlich vorgestellt, das die Hintergrundprozesse in großen deutschen Presse- und Rundfunkredaktionen beleuchtet, die für das Entstehen des Islambilds verantwortlich sind und bislang kaum untersucht wurden.

 

Vom stereotypen Mediendiskurs zur multikulturellen Öffentlichkeit: Eine theoretische Einführung

Es ist unmöglich, alle theoretischen Facetten der Medienbildforschung in einem kurzen Bericht anzudeuten. Wie auch in anderen Kapiteln ist es zielführend, von einer Zweiteilung der theoretischen Grundlagen in konstruktivistische und strukturalistische Ansätze auszugehen. Diskurstheoretische Ansätze widmen sich der Bestimmung von Inhalten von Texten und Bildern.

System- und öffentlichkeitstheoretische Ansätze bemühen sich um Erklärungen für Entstehung und Wirkung der Medieninhalte. In beiden Bereichen sind mittlerweile rassismussensible Theoriegattungen entstanden (z. B. Orientalismuskritik oder multi-ethnische Öffentlichkeitstheorie), die uns helfen können, die Beziehungen zwischen deutschen Islamdiskursen und Muslimfeindlichkeit näher zu bestimmen.

Zum konstruktivistischen Theoriestrang lässt sich sagen: Texte und mediale Bilder, auch Bewegtbilder, sind so komplex, dass ihre Interpretation immer davon abhängt, welchen theoretischen Blickwinkel man wählt. Die soziopsychologische Bildforschung beschäftigt sich vor allem mit Stereotypen und Feindbildern von zum Beispiel ethnischen oder religiösen Gruppen, wobei der Begriff des „Stereotyps“ vor allem Generalisierungen der Individuen dieser Gruppen beschreibt. Diese sind wertfreier als das „Feindbild“, das nur negative und bedrohliche Eigenschaften hervorhebt. Stereotype lassen sich zwar auch in heutigen Medien noch nachweisen (vgl. Thiele 2015), die moderne Forschung ist aber zu der Erkenntnis gelangt, dass der Ansatz zu eng ist, um Medientexte zu beschreiben, die immer auch vielschichtige Argumente, Fakten usw. vermitteln (vgl. K. Hafez 2002a: 45–50).

Die Medien- und Kommunikationswissenschaft bedient sich daher zunehmend komplexerer Verfahren der quantitativen und qualitativen Inhalts-, Framing-, Diskurs- und Bildanalyse (vgl. Rössler 2017; Darhinden 2018; Müller/Geise 2015). Mit diesen Verfahren, die in unterschiedlicher Ausprägung von der aktuellen Islambildforschung genutzt werden (vgl. Unterkapitel ↗ 7.1.2), lassen sich Aussagen medialer Texte und Bilder sowie ihr Bedeutungszusammenhang – der sogenannte Text-Bild-Kontext – sehr viel präziser bestimmen. Darüber hinaus lassen sich Tendenzaussagen über Grobstrukturen in ganzen Textlandschaften – den sogenannten „Diskursen“ – treffen. Zwar ist es schon aufgrund der Masse der produzierten Medientexte unmöglich, jedes Stereotyp oder jeden Frame (Argumentmuster) einzeln zu interpretieren. Wir können aber z. B.

a) vorherrschende Themen-, Akteur*innen- und Quellenstrukturen für ganze Mediengattungen auch über längere Zeiträume bestimmen,

b) stichprobenartige Feinanalysen der Sprache und Argumentationsgänge von signifikanten Texten vornehmen,

c) durch die Kombination beider Verfahren Kontinuitäten und Schwankungen in Diskursen identifizieren.

Gerade die Bestimmung der Themenstruktur der Medientexte gibt Aufschlüsse über die Beachtungsökonomie der Medien. Letztere behandelt die Frage, mit welcher Themenagenda die Medien die Bevölkerung beim Thema Islam konfrontieren. Das Agenda-Setting ist die heute vorherrschende Theorie der Medienwirkung (vgl. Rössler 1997).

Sie besagt im Kern, dass Medien in offenen Gesellschaften zwar nicht in der Lage sind, Denken und Einstellungen der Menschen zu bestimmen, dass sie aber sehr erfolgreich steuern, worüber Menschen nachdenken. Die Frage wiederum, in welchem positiven oder negativen Kontext Islam und Muslim*innen auftauchen, ist für das Thema Muslimfeindlichkeit entscheidend.

Für die manifeste Muslimfeindlichkeit ist die Ermittlung von Stereotypen nach der Art ‚Muslime sind fanatisch‘ wichtig; auch visuelle Stereotype lassen sich hiermit erfassen (vgl. Petersen/Schwender 2009). Dies gilt auch für die Erforschung sozialer Medien, die im Wesentlichen mit denselben quantitativen und qualitativen Verfahren erforscht werden wie andere Medientexte.

Für subtilere und indirekte Formen von Muslimfeindlichkeit hingegen ist die thematische Gesamtstruktur der Medientexte in einer Gesellschaft entscheidend, da der diskursstrukturelle Rassismus sich eben nicht nur durch klassische Stereotype, sondern durch die routinehafte Thematisierung einer Gruppe, Religion usw. in tradierten Negativkontexten auszeichnet (vgl. Kapitel ↗ 2). Der einzelne Text und Frame mag eine durchaus legitime Form der Islamkritik darstellen, sofern er frei von Stereotypen oder falschen Kausalzuschreibungen durch Frames ist (z. B. Muslimischsein als Ursache für sogenannte ‚Clankriminalität‘). In der Fixierung der Medien auf negative Themen aber liegt ein Diversitäts- und Pluralismusmangel, der als struktureller Antimuslimischer Rassismus zu kennzeichnen ist, da eine Religionsgemeinschaft wie die des Islams mit mehr als 1,5 Milliarden Muslim*innen schlicht differenzierter dargestellt werden müsste. Hier ist nicht nur die klassische Orientalismuskritik von Belang (vgl. Said 1979), sondern auch Forderungen von Kommunikationswissenschaftler*innen nach einer ausgewogenen Berichterstattung über Migrant*innen und die dazugehörigen Kontexte (vgl. Geißler 2010; K. Hafez 2002b: 59–65). Dies gilt auch für soziale Medien, wo heute große Data-Mining-Projekte nicht einzelne Texte, sondern große Textmengen analysieren und neben Themenstrukturen auch subtile Formen von Muslimfeindlichkeit in den Blick nehmen (vgl. Vidgen/Yasseri 2020).

Im zweiten, strukturalistischen Theoriebereich geht es um Einflüsse in und auf Medien, die als Entstehungsursachen für das Islambild betrachtet werden müssen, so unter anderem Wechselwirkungen zwischen dem Mediensystem und anderen Teilsystemen wie Politik, Wirtschaft und Lebenswelten. Klassisch ist hier die Unterscheidung zwischen theoretischen Mikro- (journalistische Ethik und Sozialisation), Meso- (inneres Redaktions- und erweitertes Mediensystem) und Makroebenen (Wechselwirkungen mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft) (vgl. Shoemaker/Reese 1996). Den ersten Bereich deckt die Forschung zur Nachrichtenredaktion als organisiertes Sozialsystem ab. Von Bedeutung sind hier vor allem die Einflüsse der Medieneigner*innen, aber auch die professionellen Nachrichtenselektionsroutinen, die Rolle sozialer Verhandlungen in Redaktionen und der Einfluss externer Medienstrukturen wie Nachrichtenagenturen, Meinungsführerschaften und neuerdings auch digitaler Medien (vgl. Rühl 1969; Altmeppen 1999).

Im Konzept der interkulturellen medialen Integration, das in Deutschland unter anderem Geißler und Pöttker immer wieder thematisiert haben (vgl. 2005 und 2006), wird ein Zusammenhang zwischen der ethnisch-religiösen Diversität einer Redaktion und der rassistischen Prägung bzw. der Ausgewogenheit ihrer Berichterstattung hergestellt. Diese Zusammenhänge sind jedoch komplex und widersprüchlich, weil Migrant*innen selbst uneinheitlich agieren und auch nicht-migrantische Personen durchaus kultur- und rassismussensibel sein können (vgl. Bedorf 2010). Beides entkräftet nicht, dass formales Wissen bzw. Erfahrungswissen im Umgang mit dem Islam ein wesentlicher Aspekt des Diversitätsmanagements moderner Medienredaktionen sein sollten.

Auf der theoretischen Makroebene sind zahlreiche Erklärungsansätze zu finden. Eine große europäische Vergleichsstudie zur Migrationsberichterstattung hat z. B. festgestellt, dass die – in der Regel sehr negativen – Themenstellungen der Medien in erheblichem Maße dem politischen „Agenda-Building“ folgen, d. h. von der Politik lancierte Konfliktperspektiven auf Migrant*innen medial aufgreifen und so das Medienbild prägen (vgl. ter Wal 2002: 37–39). Während der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘ 2015 war ein derartiger Einfluss der Politik deutlich sichtbar, allerdings zeigte sich dort auch exemplarisch eine umgekehrte Wirkrichtung von den Medien zur Politik. Letzteres lässt sich – zumindest in besonderen Krisenzeiten – als Kennzeichnen heutiger Mediengesellschaften verstehen. So haben deutsche Leitmedien im Frühjahr/Sommer 2015 früher als die deutsche Regierung eine Kehrtwende zu einer migrationsfreundlichen Politik betrieben und so die Politik unter Druck gesetzt (vgl. K. Hafez 2016). Diese Eigenmacht der Massenmedien zeigt sich auch im gesellschaftlichen Raum, wo „Medienpaniken“ mit Blick auf vorgeblich kriminelle, das Sozialsystem belastende und schwer integrierbare Zuwanderer*innen die öffentliche Meinung beeinflussen (vgl. ter Wal 2002: 36–37). Menschen greifen bei fernen Realitäten oft auf ihr Medienwissen zurück, während im Nahbereich die Eigenerfahrung dominiert (vgl. Kruck 2008). Da die meisten Menschen aber keine dauerhaften Interaktionen mit Muslim*innen pflegen, sind Medienwirkungen hier als grundsätzlich stark einzuschätzen (vgl. K. Hafez/Schmidt 2015: 51–59).

Die Theorie der Wechselwirkungen zwischen Medien und Gesellschaft wird heute zunehmend differenziert. Zum einen sorgen Ansätze im Bereich der Rassismus- und Multikulturalismus-Theorie für neue normative Ansprüche an Öffentlichkeiten, in denen Migrant*innen einer „multi-ethnischen Öffentlichkeit“ aktiv teilhaben (vgl. Downing/Husband 2005). Allerdings fehlt bis heute der empirische Beweis dafür, dass Minderheiten bzw. nicht-hegemoniale Gruppen das Bild der Massenmedien strukturell – also grundsätzlich und nachhaltig – beeinflussen können (vgl. Abadi 2017). Ausnahmen gibt es bei paradoxen Medienereignissen (z. B. Anfangsphasen der Deutschen Islam Konferenz oder des „Arabischen Frühlings“), was auf eine gewisse Schwankungsbreite deutscher Mediendiskurse hinweist (vgl. Unterkapitel ↗ 7.1.2).

Eine weitere Differenzierung erfährt die Theorie heute durch die Frage, welche Rolle digitale Medien für Mediensysteme spielen. Der Medienwandel führt zu neuen Teilöffentlichkeiten, eventuell sogar zu neuen Formen des Inter-Media-Agenda-Setting, demzufolge etwa soziale Medien die klassischen Massenmedien beeinflussen. Insgesamt stellt sich die Frage, ob ein Strukturwandel der Öffentlichkeit zu erkennen ist, der etablierte Medienlogiken verändert (vgl. Seeliger/Sevignani 2021). Ungeachtet der großen Aufmerksamkeit für soziale Medien fehlt allerdings auch hier der letzte Beweis dafür, dass der digitale Medienwandel die Bedeutung von Massenmedien wirklich aufhebt. Für etwa 70 Prozent aller Menschen weltweit sind klassische Massenmedien noch immer die Hauptinformationsquelle (vgl. Hölig/Hasebrink 2016). Menschen, die den sozialen Zusammenhalt dadurch gefährden, dass sie rassistischen rechtsradikalen Parteien anhängen, nutzen ganz unterschiedliche Medien und sind entgegen landläufiger Vorstellungen keineswegs nur auf sozialen Medien aktiv (vgl. Bürgel et al. 2019). Gleichwohl ist das Thema „Hass im Internet“ heute ein qualitativ ernstzunehmendes Phänomen, das in vielen Einzelfällen ganz erhebliche gesellschaftliche Auswirkungen hat, die in der Wissenschaft häufig unter dem Begriff der Inzivilität (bspw. Hatespeech bzw. Hassrede)76 zusammengefasst werden (vgl. K. Hafez 2017). Die gewachsene Bedeutung der Thematik ist auch

der Grund, warum der UEM im Bereich der Internetforschung gleich zwei Forschungsaufträge sowohl im Bereich Muslimfeindlichkeit als auch im Bereich muslimischer Gegenöffentlichkeiten in Auftrag gegeben hat (vgl. Unterkapitel ↗ 7.2.3 und ↗ 7.2.5).

 

Forschungsstand: Entstehung und Entwicklung des medialen „Feindbilds Islam“ seit dem 20. Jahrhundert

Auch wenn nicht durchgehend von einem geschlossenen „Feindbild Islam“ der Massenmedien gesprochen werden kann, weil deutsche Medien gewisse Nuancen in der Berichterstattung zeigen, weist der Islamdiskurs deutscher Leitmedien in Presse und Fernsehen bei allen Unterschieden eine deutlich negative thematische Grundstruktur auf. Die bis heute größte quantitative Langzeituntersuchung der deutschen überregionalen Presse im Zeitraum der 1940er- bis 1990er-Jahre erfasste über 12.000 Beiträge. Diese erschienen in den auflagenstärksten Wochenmagazinen DER SPIEGEL und stern sowie den führenden Tageszeitungen Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung. K. Hafez belegte, dass etwa 60 Prozent aller Artikel den Islam im Kontext negativer Themen behandeln – darunter Gewaltkonflikte wie Terrorismus sowie nicht-gewaltsame Konflikte wie religiöser Fundamentalismus (vgl. 2002b: 92–99). Die Werte sind die negativsten aller gemessenen Themen der Nah- und Mittelostberichterstattung – lediglich übertroffen von der Berichterstattung über akute Kriege. Dies zeigt, dass der Faktor Islam innerhalb des Orientbilds besonders negativ ausgeprägt ist. Dabei lassen sich genretypische Unterschiede insofern erkennen, als die Negativprägung gerade bei den Wochenmedien noch stärker akzentuiert wird (ca. 70 %) als bei den Tageszeitungen (ca. 60 %). Erstere besitzen offensichtlich ein größeres Interesse an einer kontroversen Zuspitzung des Islamdiskurses (vgl. ebd.: 366).

Vor allem DER SPIEGEL fiel in den 2000er- und 2010er-Jahren durch eine Reihe reißerischer Islamtitel auf. Um nur einige Beispiele zu nennen: „Allahs blutiges Land. Der Islam und der Nahe Osten“ (SPIEGEL Spezial 2003); „Allahs rechtlose Töchter – Muslimische Frauen in Deutschland“ (2004); „Der heilige Hass – Zwölf Mohammed Karikaturen erschüttern die Welt“ (2006); „Papst contra Mohammed. Glaubenskampf um den Islam, die Vernunft und die Gewalt“ (2006); „Der Koran – das mächtigste Buch der Welt“ (2007); „Mekka Deutschland – die stille Islamisierung“ (2007); „Der Dschihad-Kult. Warum deutsche Jugendliche in den heiligen Krieg ziehen“ (2014). Sämtliche Titelgeschichten waren nicht nur optisch furchteinflößend, sondern sprachlich gezielt stereotyp ausgerichtet, da immer die gesamte Religion des Islam angesprochen wurde. Auch die Titelgeschichte des stern-Ablegers View „Islam – Die unheimliche Religion“ (10/2006) war nicht nur sprachlich pauschal (warum „Islam“ und nicht islamistischer Extremismus?), sondern wählte auch eine Bildsprache, in der sich Extremist*innen, Waffen, das Kopftuch und die heiligen Stätten von Mekka zu einer einzigen stereotypen Bilderwelt vereinten.

Javadian Namin (2009) bestätigte in einer Studie über DER SPIEGEL und BILD, dass 75 Prozent der Beiträge den Islam in einem negativen Kontext thematisieren. Auch eine von K. Hafez und Richter 2007 durchgeführte quantitative Inhaltsanalyse der Magazinsendungen von ARD und ZDF der Jahre 2005/6 zeigt, dass seit den Attentaten vom 11. September 2001 die Tendenz zur negativen Thematisierung des Islams auch im öffentlich- rechtlichen Rundfunk auf mehr als 80 Prozent angestiegen ist (vgl. 2007). Zudem kam das Medieninstitut Media Tenor (2014) in einer groß angelegten Studie zu dem Ergebnis, dass das Auftreten des ISIS das Image des Islams in den Medien endgültig ruiniert hat – es ist demnach schlechter als alle anderen gemessenen Themen. Während repräsentative Studien insgesamt nachweisen, dass der Islam und muslimische Personen vor allem als Täter*innen politischer bzw. privater Gewalt in Erscheinung treten, wird später noch zu erörtern sein, ob sie auch als Opfer antimuslimischer Gewalt dargestellt werden (vgl. Unterkapitel ↗ 7.1.3).

Angesichts der Tatsache, dass die genannten Medien im deutschen Mediensystem als journalistische Meinungsführende tonangebend und also diejenigen Medien sind, an denen sich alle anderen orientieren (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 359), ergaben repräsentative Studien in den 1990er- und 2000er-Jahren eine ausgeprägte Negativ- bzw. Feindbildagenda in führenden deutschen Medien. Das Hauptproblem ist dabei nicht die Berichterstattung über (die in der Tat zahlreichen) Probleme etwa im Kontext von politischer Gewalt, Emanzipation, Demokratiemängel usw. in der islamischen Welt und unter Muslim*innen. Das Problem ist vielmehr die selektive Themenwahl und deren vielfach stereotype Zuspitzung, die im Laufe der Jahre immer negativer ausfiel und positive Entwicklungen ausblendete. K. Hafez urteilte: „Dem zugespitzten Islambild deutscher Medien fehlt ein relativierender Informationskontext, der den Rezipienten in die Lage versetzt, den Stellenwert eines solchen Phänomens wie des religiösen Extremismus richtig einzuordnen“ (2009: 105). Stereotype werden in den Medien häufig nicht mehr direkt formuliert, sie „steuern aber unterschwellig die Themenstruktur der Berichterstattung“ (Müller et al. 2017: 141). Der Islam erscheint in den Medien mehr als politische Ideologie denn als eine Religion (vgl. K. Hafez 2002b: 47–53, 95–96). Da die meisten Muslim*innen in Deutschland den Islam als Religion praktizieren, entsteht hier ein grundlegendes Missverhältnis und ein Spannungszustand in der Migrationsgesellschaft, der Muslimfeindlichkeit anheizt. Auf diese ist in der deutschen Gesellschaft eine starke Wirkung der Medien wissenschaftlich nachgewiesen (vgl. Unterkapitel ↗ 7.1.4).

Natürlich erfassen große quantitative und repräsentative Studien nur grundlegende Tendenzen, nicht aber einzelne Varianten, die z. B. zeigen, dass einige Medien das Problem des Feindbilds Islam selbst erkannt haben (vgl. Die Woche 2001). Zugleich zeigen zahlreiche qualitativ ausgerichtete Inhaltsanalysen, dass nicht nur eine thematische Engführung das Problem ist, sondern zahlreiche Stereotype und rassistische Zuschreibungen im Diskurs fortleben. So zeigte K. Hafez bereits 1996, dass in der Berichterstattung über den politisch verfolgten Autor Salman Rushdie neben einer legitimen Verteidigung der Meinungsfreiheit auch eine sehr pauschale Gegenüberstellung von westlicher (positiv bewertet) und islamischer Kultur (negativ bewertet) Eingang in die Medien hielt, was an die Kulturkampfthesen Samuel Huntingtons vom „Clash of Civilizations“ erinnerte (vgl. K. Hafez 1996; 1997). 2002 wies der Autor in der Berichterstattung über die Iranische Revolution massive Stereotype nach, die zum Teil auf ein Menschenbild hinweisen, wonach Muslim*innen grundsätzlich ‚anders‘ als westliche Menschen seien (Stichwort: „Othering“), zum Beispiel unfähig, das Religiöse vom Politischen zu trennen (vgl. 2002b: 224–235).

In diesem Zusammenhang wäre ein aktueller Vergleich interessant, inwieweit solche Verschiebungen des Weltbilds nicht tatsächlich permanent erfolgen. Während vielfach die Rede von „islami(sti)schem Extremismus“ ist und damit zumindest impliziert wird, dass es sich um ein Problem des gesamten Islams handelt, wird zum Beispiel Kinderschändung in christlichen Kirchenkreisen korrekterweise als kirchlich- institutionelle Herausforderung betrachtet. Begriffe wie „christliche“ oder „katholische Kinderschändung“ gibt es im Grunde nicht. Ähnlich verhält es sich mit Fragen wie dem christlich-konfessionell begründeten Terrorismus etwa in Nordirland, der im deutschen Sprachraum deutlich seltener als „katholischer“ oder „christlicher Terrorismus“ bezeichnet wird.77 Natürlich sind die Motivlagen in diesen Bereichen zum Teil unterschiedlich: Priester beziehen sich bei ihren Taten in der Regel nicht auf die Religion, anders als Attentäter*innen, und auch die Konjunkturen der Phänomene können im Zeitverlauf unterschiedlich ausgeprägt sein, was die Häufigkeit von Mediennennungen beeinflusst. Dennoch steht die Frage im Raum, ob nicht die ‚eigene‘ Religion sprach-inhaltlich deutlich differenzierter betrachtet wird als andere Religionen.

Solche Perspektivverschiebungen gehen auf Techniken der selektiven Wahrnehmung zurück, die stereotype Charakterisierungen und ein Pars-pro-toto-Denken begünstigen. Zahlreiche weitere Studien haben sich damit beschäftigt, wie durch sie Eigen- und Fremdbilder konstruiert und generalisierende Unterscheidungen getroffen werden. Schiffer untersuchte im Jahr 2005 die Selektionsmechanismen des Hervorhebens, Ausblendens und Wiederholens im medialen Islamdiskurs ausgiebig. Ihr zufolge werden Glaubensgrundlagen des Islams vielfach verkürzt und unzulässig verallgemeinert, gekoppelt mit einer stereotypen Bildsprache (vgl. 2005). Sielschott stellte 2011 fest, dass zwei Drittel aller relevanten Frames in ostdeutschen Regionalzeitungen Muslim*innen für die Todesfolgen von Terrorismus verantwortlich machen und sie als kalt und unmoralisch darstellen (vgl. 2011). Shooman beschrieb 2014 antimuslimische Stereotype und Narrative, die aus ihrer Sicht einer „Rassifizierung religiöser Zugehörigkeit“ zuarbeiten (vgl. 2014). Hergouth und Omlor fanden 2015 heraus, dass alle führenden Boulevardzeitungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz (Kronen Zeitung, BILD und Blick) anlässlich des Charlie-Hebdo-Anschlags den Islam und Muslim*innen als Bedrohung darstellten (vgl. 2015). Wigger beschrieb in einer Studie von 2019 die „Rassialisierung und Islamisierung sexueller Gewalt“ am Beispiel intersektionaler Muslimfeindlichkeit gegenüber arabisch-islamischen Männern, die nach der Silvesternacht 2015/16 in deutschen Medien vielfach pauschal als Gefahr für ‚die deutsche Frau‘ dargestellt wurden (vgl. 2019). In einer Untersuchung visueller Darstellungen von mehr als Tausend Fotografien in Tages- und Wochenzeitungen stellte Amr Abu Zeid 2016 fest, dass insbesondere Muslim*innen im Ausland vielfach als ‚Sicherheitsrisiko‘, ‚kulturelle Herausforderung‘ oder als ‚primitiv‘ dargestellt werden, wobei vor allem in den Golfstaaten eine Faszination für exotischen Luxus hinzukommt (vgl. 2016: 131). 2020 kam Sebastian Lemme zu dem Ergebnis, dass Muslim*innen überdurchschnittlich häufig visuell markiert werden, insbesondere durch das Kopftuch (auch wenn sehr viele Musliminnen gar kein Kopftuch tragen) (vgl. 2020).

Selbstverständlich enthalten deutsche Medientexte auch zahllose korrekte Informationen, sinnvolle Einordnungen (Framing) und kultursensible Hintergründe. Deutsche Medien transportieren weitaus mehr als rassistische Stereotype, und es ist nicht das Anliegen der modernen Diskursforschung, die Komplexität des aktuellen Islamdiskurses zu leugnen (vgl. Karis 2013). Auffällig ist aber, dass im Falle des Islams muslimfeindliche stereotype Aussagen noch immer zahlreich sind und als sagbar gelten können, während sie in anderen Bereichen viel stärker sanktioniert werden. Eine Gesellschaft, die das N-Wort zunehmend erfolgreich aus dem Diskurs verbannt, hat mit öffentlichen pauschalen Aussagen und falschen Vergleichen auch in Titelgeschichten (der Islam als bedrohlich usw.) erstaunlich wenig Probleme. Der vorliegende Bericht versucht, diese Tendenz auch in den Beispielen der Medienberichterstattung (vgl. Kapitel ↗ 4) näher zu beschreiben.

In diesem systematischen Unterkapitel sei lediglich noch der Hinweis erlaubt, dass man den Forschungsstand zum zeitgenössischen Islambild der Medien historisch einordnen sollte. Dieses war nicht immer so negativ wie in der Gegenwart.

Vor der Islamischen Revolution in Iran 1978/79 wurde der Islam in deutschen Medien kaum beachtet. Die Berichterstattung über die sogenannte ‚islamische Welt‘, insbesondere über den Nahen und Mittleren Osten, war zwar nicht frei von exotisierenden Klischees aller Art, allerdings gab es auch positive Stereotype. So waren z. B. Homestorys über Schah Reza Pahlevi oder den Aga Khan noch bis in die 1960er-Jahre weit verbreitet (vgl. K. Hafez 2002b: 235–240). Diese positiven Berichte und Konnotationen verschwanden allerdings schlagartig mit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 zwischen Israel und den arabischen Staaten. Sie wichen einem stark politisierten Orientbild, das mit der Iranischen Revolution den Islam als Thema neu entdeckte. Diese Politisierung gilt übrigens auch für andere deutschsprachige Länder wie die Schweiz (vgl. Richter 2018). Die deutschen Medien betrachteten den Islam somit lange Zeit eher als folkloristischen Nebenschauplatz anderer politischer und kultureller Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten. Erst mit der Formierung einer starken islamisch-fundamentalistischen Bewegung fingen sie an, ein antiislamisches Feindbild auszuprägen (vgl. Hippler/Lueg 1993). Es ist daher auch falsch, die Attentate von 9/11 als Erweckungsmoment des medialen Islambilds zu betrachten. Sie waren allenfalls verstärkend, wie auch eine Kette weiterer Ereignisse von der Karikaturendebatte 2005/6 bis zur Begründung des sogenannten ‚Kalifats‘ des ISIS 2014.

Diese Diskursschwankungen zeigen, dass sich das Islambild deutscher Medien zwar vor dem Hintergrund langfristig angelegter, historischer Stereotype entfaltete (vgl. Attia 2009) – es wurde allerdings von realen internationalen politischen

Krisen aktiviert und könnte, bei einer veränderten Weltlage, auch Veränderungen unterworfen sein. Wie insbesondere politische Großereignisse die Berichterstattung beeinflussen und damit den oben genannten Befund einer starken Prägung der Medienagenda durch die Politik bestätigen, zeigen mehrere Fallstudien. Ein Forschungsteam um K. Hafez legte 2013 dar, dass in der Frühphase des Arabischen Frühlings eine gewisse pragmatische Öffnung gegenüber dem politischen Islam erkennbar war (vgl. 2013a). Masoumeh Bayat ermittelte in einer Studie 2015 ein positives Anfangsecho auf die Deutsche Islam Konferenz (vgl. 2015).

 

UEM-Studie zu Presse und Fernsehen: Muslimfeindlichkeit bleibt prägend

Prof. Dr. Carola Richter und Dr. Sünje Paasch-Colberg vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin haben im Auftrag des UEM eine aktuelle und repräsentative Studie des Islambilds der deutschen Presse und des Fernsehens durchgeführt (vgl. 2022). Die quantitative Inhaltsanalyse konzentriert sich auf die Themen- und Akteur*innenstruktur der Medien und untersucht damit einen zentralen Baustein des Islamdiskurses. Damit werden zwar nicht die Feinstrukturen des Nachrichtendiskurses analysiert (Frames, Stereotype, Visualisierung usw.), dafür aber die zentrale Ausrichtung des Agenda-Settings auf Sach- und Personenkontexte, in denen der Islam und Muslim*innen verhandelt werden, wobei vor allem auf die Themenvalenz (Konfliktdimension) geachtet wird. Die Studie erfasst die großen überregionalen Zeitungen Süddeutsche Zeitung, Welt, BILD und die tageszeitung und deckt damit ein politisches Rechts-Links-Spektrum sowie den ‚seriösen‘ und den ‚Boulevard‘-Journalismus ab. Zudem werden Lokalzeitungen sowohl aus Regionen mit hoher wie auch mit niedriger muslimischer Wohnbevölkerung analysiert (Rheinische Post und Kölner Stadt-Anzeiger aus NRW sowie Sächsische Zeitung und Freie Presse aus Sachsen). Im Fernsehbereich werden als Vertreter des dualen Rundfunksystems RTL als Marktführer im nachrichtlichen Bereich bei den Privatsendern und ARD/Das Erste für den öffentlich-rechtlichen Sektor ausgewählt. Die Analysegesamtheit umfasst die Jahre 2014 und 2019 sowie, als weitere Aktualisierung, den Oktober 2021. Im Bereich Presse werden insgesamt 19.490 Artikel untersucht (vgl. ebd.: 9). Während die Zeitungen auf Basis digitaler Volltextdatenbanken erhoben werden, erfolgt die Auswahl der Fernsehstichproben in Kooperation mit der Göfak Medienforschung, die Langzeit-Programmforschung für die AG Landesmedienanstalten und im Auftrag von ARD/ZDF betreibt (339 Beiträge) (vgl. ebd.: 11). Analysegesamtheit, Stichproben, Codebücher, Reliabilitätstests usw. wurden nach Standardverfahren gebildet und durchgeführt (vgl. ebd.: 11–13.). Die Themenanalyse deutscher Medien bestätigt den bisherigen Forschungsstand insofern, als eine langfristige Kontinuität einer stark an Gewaltereignissen und anderen negativen Konflikthemen ausgerichteten Medienberichterstattung sichtbar wird. Diese ist bei den Zeitungen stark und im Fernsehen sogar extrem stark ausgeprägt und überlagert dort alles. Da für Muslimfeindlichkeit die mediale Konfliktperspektive entscheidend ist, konzentriert sich die nachfolgende Zusammenfassung der Ergebnisse von Richter und Paasch-Colberg auf eben diesen Aspekt. Erkennbar ist die Dominanz von Themenbereichen wie Gewaltkonflikte und Sicherheit/Recht (im Durchschnitt 52,2 % in Zeitungen und 86,7 % im Fernsehen, vgl. die folgenden ↗ Tab. 7.1 bis ↗ Tab. 7.4). Die Forscherinnen kommen in einer Feinanalyse über alle Themenbereiche sogar zu dem Ergebnis, dass islambezogene Konflikte 57 Prozent aller Zeitungs- und 89 Prozent der Fernsehberichte prägen (vgl. ebd.: 36–38).78 Dabei kann auch eine über die Jahre erkennbare leichte Steigerung von Berichten über Gewalt gegen Muslim*innen (ca. 2 %) ermittelt werden (vgl. ebd.: 28). Zeitungen deuten in durchschnittlich 22,6 Prozent ihrer Berichte, die auf Themenbereiche wie Wirtschaft/Arbeit, Soziales, Bildung/Wissenschaft, Kultur oder Religion entfallen, immerhin noch eine gewisse inhaltliche Breite des Islambilds an, das sonst hochpolitisiert und konfliktgeprägt ist. Im Fernsehen, in den Hauptprogrammen von RTL und ARD/Das Erste, verringert sich dieser Anteil jedoch auf 3,9 Prozent und ist damit verschwindend gering.

 

 

 

Bettet man diese Ergebnisse in den bisherigen Forschungsstand ein, so zeigt sich die langfristige Kontinuität eines Gewalt- und Negativbilds des Islams. Die repräsentative Forschung für den Zeitraum der letzten ca. 40 Jahre (seit der Iranischen Revolution 1978/79) verortete die Konfliktperspektive bei ca. 60 Prozent für die Presse und bei ca. 80 Prozent für das Fernsehen (ARD und ZDF) (vgl. Unterkapitel ↗ 7.1.2), also bei Werten, die mit den aktuellen Zahlen (57 % und 89 %) fast identisch sind. Eine starke Zuspitzung des Islam- und Muslim*innenbilds – immerhin einer Weltreligion – auf Gewalt und Konflikthemen lässt sich somit als zeitgenössische Konstante der deutschen Leitmedien ermitteln. Neutrale reguläre oder sogar positive Diskursstränge fehlen dem deutschen Medienbild in hohem Maße. Die langfristigen Stereotype des Islams (frauenfeindlich, gewalttätig, fanatisch) werden somit seit einigen Jahrzehnten in den Nachrichtenmedien strukturell reproduziert. Die Studie von Richter und Paasch-Colberg kommt denn auch zu dem Ergebnis, dass eine extrem eingeschränkte Themenagenda vorherrscht und dass gerade nicht-konfliktive Themen stärker beachtet werden müssen.

Aus der Feinanalyse ergeben sich zwar einige erstaunliche Gegenbeispiele, z. B. wenn die BILD über Muslim*innen unter Notfallseelsorger*innen berichtet. Diese Ausnahmen verändern aber nicht die Grundstrukturen eines negativen Islambilds. Dabei sind Unterschiede zwischen den Medientypen und -gattungen durchaus interessant. Sowohl die BILD als auch die Chemnitzer Regionalzeitung Freie Presse liegen über dem Mittelwert der Konfliktberichterstattung, was bei der BILD als sensationsorientiertem Boulevardmedium nicht überrascht, das zu 26 Prozent über Innere Sicherheit und ähnlich häufig über Terrorismus, Kriminalität und den Antisemitismus von Muslim*innen berichtet. Bei einer Regionalzeitung allerdings ist dies verwunderlich, zumal andere Lokal- und Regionalmedien leicht unter dem Durchschnittswert verbleiben, und zwar sowohl in NRW als auch in Sachsen. Gerade die Rheinische Post und die Sächsische Zeitung sind mit ihren regionalen Schwerpunkten deutlich weniger konfliktorientiert geprägt. Auch zwischen RTL und ARD lassen sich leichte Verschiebungen dieser Art feststellen, wobei der öffentlich-rechtliche Sender Gewaltthemen mit sieben Prozentpunkten weniger thematisiert als der private Sender.

Die Studie zeigt zudem, dass ein erheblicher Anteil der islambezogenen Berichterstattung mittlerweile einen Deutschlandbezug aufweist. Dies bedeutet, dass der Islam immer weniger als Thema der Auslandsberichterstattung und immer stärker als inländisches Geschehen behandelt wird. Dies heißt allerdings bei der starken Konfliktprägung des Bilds auch, dass Konflikte „mit dem Islam“ immer näher rücken und so Ängste bzw. Abwehrreaktionen weiter verstärken können.

 

Die Akteur*innenanalyse der Studie schließlich weist auf sehr problematische Repräsentanzverhältnisse von Muslim*innen in deutschen Medien hin. Lediglich 14 Prozent (Zeitungen) bzw. 26 Prozent (Fernsehen) der Akteur*innen können als explizit muslimisch markierte Personen identifiziert werden. Die Studie folgert, „dass die Islam-Berichterstattung zumindest in der Presse weitgehend ohne klar identifizierbare Muslim*innen auskommt“ (ebd.: 49). Fast noch bedeutsamer erscheint, dass Muslim*innen seltener als Nicht-Muslim*innen aktive Sprecher*innenrollen zugewiesen bekommen. Es wird – auch bei Themen wie Innere Sicherheit! – weit mehr über als mit Muslim*innen gesprochen (vgl. ebd.: 55).

Muslim*innen kommen zudem wesentlich öfter als Nicht-Muslim*innen entweder als Individuen 79 Indirekte Kennzeichnungen (z. B. die Erwähnung des Tragens eines Kopftuchs) konnten nicht kodiert werden.oder als undefinierte Gruppen („Rohinya-Flüchtlinge“, „streng muslimische Frauen“ usw.) vor, was gemäß der Studie die Gefahr einer Homogenisierung birgt (vgl. ebd.: 51). Muslim*innen treten in Medien auch öfter als Milizen oder Terrorist*innen in Erscheinung und viel seltener als Mitglieder der Zivilgesellschaft, d. h. von Vereinen, Institutionen oder NGOs (vgl. ebd.: 56). Schließlich ist die Islamberichterstattung vorrangig männlich geprägt (70,9 %, vgl. ebd.: 53).


 

Auch wenn wir es bei der vorgelegten Studie von Richter und Paasch-Colberg nicht mit einer qualitativen Inhaltsanalyse inklusive einer genauen Untersuchung von Stereotypen, Frames und Diskursen zu tun haben, bietet sie den Vorteil einer repräsentativen Trendanalyse. Die bestätigte geringe Diversität der Islamagenda und die sehr selektive Wahrnehmung von negativ behafteten Themen und Ereignissen weisen auf ein klar zugespitztes Gewalt- und Konfliktbild des Islams. Hier zeigt sich eine langfristige Kontinuität einer strukturell muslimfeindlichen deutschen Medienbeachtung als Reaktion auf die starke Politisierung des Islambilds seit der Iranischen Revolution 1978/79. Die Akteur*innenanalyse kann so interpretiert werden, dass nicht nur das Global-, sondern auch das Menschenbild des Islams und von Muslim*innen betroffen ist. Muslim*innen treten allzu oft als Radikale in Erscheinung, als nicht-integrierter und nicht-vernetzter Bestandteil unserer Gesellschaft. In beiden Bereichen – bei Themen wie bei Akteur*innen – ist dringender Reformbedarf hin zu einer Diversifizierung erkennbar. Einige Medien, insbesondere einige Lokalzeitungen, scheinen diesen Prozess bereits begonnen zu haben. Andere hingegen, insbesondere die großen Fernsehanstalten, verbreiten seit Jahrzehnten ein weitgehend monolithisches, d. h. festgefügtes Islambild.

 

Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz
Bundesministerin des Innern und für Heimat


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